Interview mit Joern Lier Horst

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Joern Lier Horst (Foto: privat)

Joern Lier Horst war viele Jahre bei der Polizei; dabei sah er Dinge, die andere sich nicht einmal vorstellen können. Was ER sich wiederum sehr gut vorstellen konnte, war, seine Erfahrungen in eine literarische Form zu gießen – um endlich mal die Art Krimi in Händen zu halten, die er selbst gern lesen wollte. Spannend und realitätsnah – Schußverletzung inklusive.

Herausgekommen ist die William Wisting-Reihe – und ein Berufswechsel. Wie alles begann erzählt der Norweger im Gespräch mit Michaela Pelz.

 

Sie haben Ihren Beruf als Polizist im vergangenen Herbst aufgegeben, um hauptberuflich als Schriftsteller tätig zu werden, stimmt das?

Das ist richtig. Ich habe den Polizeidienst nach fast 20 Jahren Dienstzeit im September 2013 quittiert.
Diese Arbeit hat mich in vielerlei Hinsicht als Mensch geprägt und hinterlässt definitiv Spuren, die auch in meinen Büchern zu finden sind.
Als Chefermittler konnte ich mehr als einen flüchtigen Blick hinter die Absperrung werfen, mich frei am Tatort schwerster Verbrechen bewegen. Ich sah die Spuren erbarmungsloser Kämpfe. Betrat versiegelte Räume voller ungeklärter Geheimnisse. Dorthin möchte ich meine Leser mitnehmen.
Zu meiner Arbeit gehörte es auch, Mörder und Vergewaltiger näher kennenzulernen, mich in ihre Gedankengänge hineinzuversetzen. Mit Opfern und ihren Familien zu sprechen.
All diese Erfahrungen tragen dazu bei, meine Bücher authentisch zu machen.

Was vermissen Sie seitdem am meisten?

Die Kollegen – nachdem der Job als Autor ein ziemlich einsames Geschäft ist. Und die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft.
Außerdem fehlt es mir, Teil der aktuellen Nachrichtenlage zu sein, wenn etwas passiert, statt nur Zuschauer. Und ich vermisse das Gefühl, durch meine Arbeit etwas zur Lösung des Falles beitragen und vielleicht sogar die alles entscheidende Wendung herbeiführen zu können.

Worin bestand Ihre Tätigkeit bei der Polizei genau?

Ich verfüge über umfangreiche Kenntnisse in den unterschiedlichsten Aufgabenbereichen. Die letzten zehn Jahre stand ich als Chefermittler unterschiedlichen Kommissionen vor, die in Schwerverbrechen ermittelten.

Welche Art Fälle bearbeiteten Sie dabei genau?

Verbrechen, die mit schwerwiegenden Strafen geahndet werden, wie Organisiertes Verbrechen, Drogendelikte, schwere Körperverletzung, Raub, Sexualstraftaten und Mord. Also all das, was Krimifans in einem guten Roman erwarten.

Ist je ein konkreter Fall in Ihre Bücher eingeflossen?

Mein Debütroman „The Key Witness“ (nicht auf deutsch erschienen – A.d.R.) basiert auf dem, was als eine der bizarrsten und brutalsten Tötungen der jüngeren norwegischen Kriminalgeschichte beschrieben wurde, dem Mord an Ronald Ramm im Jahr 1995.

Meine Laufbahn als Autor begann an meinem ersten Arbeitstag als Polizist. Es war der Tag, an dem in meiner Heimatstadt Larvik Ronald Ramm in seiner eigenen Wohnung vergewaltigt und ermordet aufgefunden wurde.
Sich an einem solchen Tatort zu befinden, war eine ungeheuer aufregende Erfahrung. Zu sehen, wie sich der Kampf auf Leben und Tod von einem ins andere Zimmer fortgesetzt hatte, bis er schließlich im Außenflur endete, wo man Ramm abgeschlachtet und mit gefesselten Händen fand.

Für einen jungen Polizisten wie mich war es ein ganz besonderes Gefühl, über diese Türschwelle zu treten und zu wissen, dass ich damit den Fußspuren eines unbekannten Killers folgen würde.

Was damals vor fast 20 Jahren tatsächlich geschehen ist, weiß man bis heute nicht. Der Mörder wurde nie gefasst, aber das Rätsel findet in meinem Roman eine fiktionale Lösung.

Gibt es noch andere Umstände, in denen Ihre Arbeit bei der Polizei Ihre schriftstellerische Tätigkeit beeinflusst hat?

Ich nutze meine ganz persönlichen Erfahrungen, um realistische Krimis zu schreiben. Wie das, was ich im Mai 1997 erlebte.
Damals geriet ich per Zufall mitten in einen Überfall auf ein Postamt. Nach einer wilden Autoverfolgungsjagd endete das Ganze damit, dass diverse Fahrzeuge in Flammen aufgingen und ich einer Maschinenpistole von der falschen Seite zu nahe kam.

Es gibt nicht viele Autoren, die schon einmal angeschossen wurden. Übrigens auch nicht besonders viele Polizisten. In Büchern geschieht das wesentlich häufiger als in der Wirklichkeit.
Anders gesagt: Ich weiß, wie sich Todesangst anfühlt und kann das meinen Lesern dadurch auch leichter vermitteln.

Hatten Sie jemals dienstliche Kontakte nach Deutschland?

Bei der Bekämpfung des Organisierten Verbrechens hatte ich häufiger mit Interpol und der deutschen Polizei zu tun.
In einer immer internationaler ausgerichteten, globalisierten Welt ist Norwegen ein attraktives Ziel für Kriminelle, die über Landesgrenzen hinaus operieren.

Worum ging es bei der Zusammenarbeit mit den deutschen Kollegen?

Bei einem der letzten Fälle, die ich während meiner Amtszeit bearbeitete, hatte ich es mit polnischen Dieben zu tun, die hinter zahlreichen bewaffneten Raubüberfällen in Norwegen und Schweden steckten. Sie wurden mit internationalem Haftbefehl gesucht und in Hamm verhaftet.
Außerdem bekamen wir Amtshilfe von forensischen Laboren in Deutschland.
Einige der weltbesten Experten für Handschriften-Untersuchungen arbeiten für das Bundeskriminalamt in Wiesbaden.

Was ging der Veröffentlichung Ihres ersten Romans 2004 voraus?
Hatten Sie seit Jahren ein Manuskript in der Schublade?
Oder basierte die Idee für Ihr Buch auf einer plötzlichen Eingebung?
Hat jemand Sie dazu ermutigt oder haben Sie sich durchs Schreiben einen Jugendtraum erfüllt?

Als Kind hatte ich weder den Wunsch, Polizist noch Schriftsteller zu werden – und doch habe ich letztendlich genau das gemacht.
Beides.
Ich habe immer schon gern geschrieben. Als kleiner Junge hatte ich ein Faible für eine wöchentliche Hörspiel-Reihe. Statt darauf zu warten, was in der Folgewoche geschehen würde, setzte ich mich hin und verfasste die Fortsetzung gleich selbst.

Die Nacht, in der ich mit dem anfing, was später mein Debüt werden sollte, ist mir noch ganz genau im Gedächtnis. Es war im Spätherbst 2001.
Ich war zu Hause, im Bett, und las die letzten Seiten eines norwegischen Krimis. Den warf ich gegen die Wand und sagte zu meiner Frau, die neben mir lag, dass ich so etwas garantiert hätte auch schreiben können. Und besser außerdem.
Daraufhin antwortete sie, dass ich das dann doch einfach tun solle. Ich löschte das Licht und wälzte mich eine halbe Stunde hin und her, bevor ich wieder aufstand und anfing zu schreiben.

Der Protagonist Ihrer Bücher ist ein gründlicher, aufrichtiger Polizist, der doch in eine unheilvolle Maschinerie hineingerät: Der Fahndungsdruck ist hoch, alle wollen Ergebnisse, es gibt einen Verdächtigen, also ist es sehr praktisch, die passenden Beweise zu haben…
Wie wird bei der Polizei normalerweise verhindert, dass so etwas passiert?

Wenn es ein passendes Prozedere gäbe, dann hätten Sie in „Jagdhunde“ davon gelesen.
Dieses Buch handelt davon, dass auch die Polizei Fehler machen kann. Und von der Bereitschaft und Möglichkeit, die begangenen Fehler zu korrigieren.
Davon, wie Ermittler sich anhand des ersten auftauchenden Beweisstücks ihre Meinung darüber zurechtlegen, wie alles zusammenhängt.
Sie finden etwas, das in eine bestimmte Richtung weist und ab da werden alle weitere Ermittlungen daran ausgerichtet. Sämtliche anderen Blickwinkel werden in der Hoffnung auf eine möglichst schnelle Aufklärung vernachlässigt. Alle bekommen einen Tunnelblick und suchen nach neuen Informationen, um die zentrale Hypothese zu untermauern.

Das was anfangs eine in alle Richtungen offene Ermittlung war, konzentriert sich erschreckenderweise auf eine Sache, eine Person. Aus einer breit angelegten Untersuchung wird ein Kesseltreiben.
In solchen Momenten werden Polizisten zu Jagdhunden und brechen der Beute, von der sie Witterung aufgenommen haben, das Genick.

Natürlich ist sehr häufig das, was direkt vor unserer Nase liegt, auch das, was wir suchen. Aber die Polizei darf nicht automatisch davon ausgehen. Daran soll uns dieses Buch erinnern.
Die Welt steckt voller Krimineller, die nie gefasst wurden und zwar dank der einseitigen Denkweise der Behörden.

Aktuell wird „Jagdhunde“ bei der Ausbildung an der norwegischen Polizeihochschule eingesetzt, um die Ermittler in spe für die Gefahren zu sensibilisieren, die eine einseitige Untersuchung mit sich bringt.

Zu den Schulungsunterlagen an der Akademie zu gehören ist eine Sache – doch wie haben die „Jungs von der Straße“ auf den Roman reagiert?
Gab es Stimmen, die meinten, dass ein ehemaliger Angehöriger der Polizei über solche Fehler besser nicht sprechen sollte?

Das war alles unproblematisch.
Tatsächlich ist „Jagdhunde“ derjenige meiner Romane, der meinen Kollegen am besten gefällt, trotzdem er die Polizeiarbeit in ein kritisches Licht setzt.
Statt sich unbehaglich zu fühlen, haben die meisten Polizisten den Wunsch, ihre Arbeit bestmöglich zu erledigen und sind daher für jede Rückmeldung dankbar, die sie mit dem dafür nötigen Rüstzeug versorgt.

Haben Sie jemals vom Fall „Peggy“ gehört?

Nein, tut mir leid.
Es gibt nicht sehr viele deutsche Kriminalfälle, die es in die norwegischen Medien schaffen.
Wer sich allerdings auch in meinem Land nicht über mangelnde Berichterstattung beklagen mußte, war der sächsische LKA-Beamte, den man verdächtigte, einen Mann, den er in einem Kannibalen-Forum im Internet kennengelernt hatte, getötet und verspeist zu haben.

Die Tochter Ihres Helden ist Journalistin und immer auf irgendeine Weise in die Ermittlungen verstrickt. Was hat Sie bewogen, eine solche Figur einzuführen und welche „praktischen“ Konsequenzen hatte dies für Sie beim Schreiben?

Fans der Wisting-Reihe kennen dessen Tochter Line bereits seit ihren ersten beruflichen Schritten als Praktikantin einer Lokalzeitung. Mittlerweile ist sie als Kriminalreporterin für Norwegens größte Tageszeitung tätig – VG .

Das sorgt dafür, dass sich ihre Wege immer wieder auf der beruflichen Ebene kreuzen.
Zuweilen arbeiten sie am selben Fall, aber aus Gründen der jeweiligen Schweigepflicht und des Zeugenschutzes, dürfen sie sich nicht darüber austauschen.
Das führt zu einer höchst interessanten Vater-Tochter-Beziehung. Line verfügt über einen Blick von außen auf die Arbeit der Polizei und ihre Rolle in der Gesellschaft, was wiederum der Figur William Wisting mehr Tiefe verleiht und einen kompletten Überblick der Verbrechen um uns herum liefert.
Auf diese Weise hat sie sich immer mehr als hervorragender Sparringpartner für Wisting herauskristallisiert und wurde zu einem klassischen Sidekick.

Allerdings war das beim Schreiben nicht ganz unproblematisch.

Den Polizeibetrieb zu beschreiben fiel mir naturgemäß leicht.
Als aber Line mehr und mehr Raum in den Geschichten einnahm, wurden auch ihre Arbeit als Journalistin und das ganze Medien-Ambiente sehr wichtig.
Während meiner Tätigkeit als Chefermittler hatte ich zwar zahlreiche Kriminalreporter kennengelernt, aber mir war es wichtig, dass „meine“ Journalisten genauso authentisch dargestellt werden sollten wie die Polizisten.
Aus diesem Grund besuchte und begleitete ich während der Arbeit an „Jagdhunde“ die Redaktion der VG, wobei es zu engen Kontakten mit einigen der führenden Kriminalreportern des Landes kam.

Was fiel Ihnen dabei besonders auf?

Es ist immer Interessant zu sehen, welche Fälle in der Presse aufgegriffen werden und welche nicht.
Wenn die Polizei einen unbekannten Täter sucht, ist sie bei der Suche nach Informationen komplett auf die Medien angewiesen.
Aber es ist schon paradox, dass man es als Opfer eher auf die Titelseite schafft, wenn man eine junge, schöne Frau ist als ein alter Drogenabhängiger.

Wie viele weitere Geschichten rund um Ihren Helden haben Sie noch im Hinterkopf – oder gibt es gar kein Limit für die Reihe?

In den Anfängen meiner Schrifstellerkarriere verkündete ich, zehn Bände rund um William Wisting schreiben zu wollen. „Jagdhunde“ ist der achte, der neunte („The Caveman“) kam jetzt gerade in Norwegen heraus.
Zu seinem Erscheinen habe ich meinen Fans versprochen, dass nach zehn Bänden nun doch nicht Schluß sein wird.

In meinen Romanen nehme ich die Leser mit auf die dunkle Seite der privilegierten, sicheren und reichen norwegischen Sozialdemokratie.
Meine Geschichten entspringen der sozialen Ungerechtigkeit und dem Elend in einer Gesellschaft, die sich auf die Fahne schreibt, ihre Mitglieder zu schützen und sich um alle zu kümmern, und doch bei so vielen Bürgern schlichtweg versagt.
Vor einem Mangel an Themen muss man sich diesbezüglich sicher auch künftig nicht fürchten.

Und was ist, wenn Wisting aus Altersgründen einmal in Rente gehen muss? („The Caveman“ ist im Jahr 2011 angesiedelt, die Figur 1958 geboren, also derzeit 53 Jahre alt)

In „Jagdhunde“ beweise ich den Lesern ja, dass mein Held seine Fälle auch ohne aktiv im Polizeidienst zu sein, lösen kann, schließlich ist er da gerade suspendiert …
Ansonsten bleibt mir immer noch die Möglichkeit, ihn auf eine Position mit einem höheren Pensionsalter zu befördern.

Soll heißen …?

Unser System ist einigermaßen kompliziert. Das Rentenalter für Polizisten ist in Norwegen 57 Jahre. Wenn der- oder diejenige das will, kann man aber bis zum Alter von 60 Jahren im Dienst bleiben.
Das allerdings gilt nur für jene Einsatzkräfte, deren Tagesgeschäft aus dem Umgang mit Kriminellen besteht.
Übt jemand hingegen eine Verwaltungstätigkeit aus, kann man frühestens mit 62 und muss spätestens mit 67 Jahren in Rente gehen.

Viele Romane skandinavischer Autoren wurden verfilmt – entweder fürs Fernsehen (Mankell, Staalesen, Dahl, Läckberg….) oder fürs Kino (Larsson, Nesbo, Kepler…).
Wann werden wir William Wisting auf der (großen oder kleinen) Leinwand sehen?

Die Rechte wurden bereits an eine norwegische Produktionsfirma verkauft. Mit im Boot sind einige der Leute, die hinter der Verfilmung der Varg Veum Bücher von Staalesen und dem norwegischen Blockbuster „Kon-Tiki“ steckten.
Das Projekt steht aber noch ganz am Anfang, von daher muss man erst mal abwarten, ob Wisting es ins Fernsehen oder Kino schafft.

Letzte Frage: Am 28. März, anlässlich des Krimifestival München, werden Sie im LKA-Schießkeller lesen.
Welche Abteilungen würden Sie bei einer Führung dort am meisten interessieren?

Vor einigen Jahren habe ich ein forensisches Sachbuch auf norwegisch geschrieben. Von daher wäre ich sehr daran interessiert, wie deutsche Kriminaltechniker arbeiten.
Sehr oft habe ich die Erfahrung gemacht, dass winzige Details ausschlaggebend werden und erst einen Fall bombenfest machen.

VIELEN DANK FÜR DAS GESPRÄCH!
Jørn Lier Horst wurde befragt von Chefredakteurin Michaela Pelz, Februar 2014.

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