Das Buch direkt bei Amazon bestellen Fred Sellin Klaus Weber
Das Milchgesicht

rororo TB
ISBN 3-499-60837-5

Marco F. tötete im Alter von dreizehn Jahren einen zehnjährigen Jungen. Gut ein Jahr später wird ein Achtjähriger sein Opfer. Erst danach kann die Polizei den Jungen stoppen, allerdings nur durch einen Zufall.
Die Geschichte von Marco ist so drastisch wie bezeichnend. Das Schicksal des Jungen steht stellvertretend für das anderer Gewalttäter im Kindes- und Jugendalter. Ihre Zahl steigt, so wird es in Kriminalstatistiken dokumentiert, seit Jahren kontinuierlich an, und offenbar weiß niemand, wie dies aufzuhalten ist.
Mittlerweile hat dieses Tatsache eine gesellschaftliche Dimension erreicht, die weder zu übersehen noch schönzureden ist.
Der Fall des Doppelmörders Marco, der hier ausführlich und authentisch erzählt wird, verdeutlicht die begünstigenden Faktoren: überforderte Eltern, die Suche nach Liebe und Bestätigung, fragwürdige Betreuung in Heimen, Verharmlosung strafbarer Handlungen u.v.m.
Marcos Lebensgeschichte zeit, daß immer häufiger private und gesellschaftliche Erziehung und Entwicklungskorrektive versagen. Das Interview mit Marco F. in diesem Buch dokumentiert dies überdeutlich.

Rezension:
Der Untertitel lautet: "Wenn Kinder töten: Der Fall Marco F."
Stellt sich unweigerlich die Frage:
Ist dieses Sachbuch so reißerisch, wie sein Titel vermuten läßt?
Ja.
Und nein.
Während die Autoren den Versuch machen, dem Leser möglichst viele der involvierten Personen (Täter, Opfer, Eltern, Erzieher) dadurch nahezubringen, daß sie deren vorgebliche innere Befindlichkeiten darstellen, arbeiten sie mit allen Stilmitteln des Boulevardjournalismus.
Dazu gehören z.B. sehr emotionale, oft auch subjektiv gefärbte Beschreibungen von Schauplätzen des Buches (nicht nur der Tatort - beim zweiten Opfer eine Garage; die Fundstelle der Leiche - beim ersten Opfer ein Komposthaufen; auch beispielsweise die Wohnungseinrichtung der Eltern des Mörders.
Sowie die durchgängige (und gar nicht so subtile) Botschaft: Diese fürchterlichen Tötungen hätten nicht geschehen müssen, wenn sich, viel früher!, jemand - die Behörden, das Jugendamt, irgendwer - um den späteren Täter gekümmert hätte, der auf seine Weise auch ein Opfer ist.
Was seine Tat aber, auch darüber lassen die Autoren ihre Leser nicht im Unklaren, keineswegs entschuldigen, sondern vor allem erklären soll.
Eben die, oben genannte, "emotionale Schreibe" sorgt aber gleichzeitig für ein Verschwinden der kritischen Distanz des Betrachters zu den im Buch geschilderten unfaßbaren Ereignissen.
Was wiederum die Bereitschaft erhöht, sich überhaupt mit dem Thema auseinanderzusetzen und es nicht als eine, "angenehm" gruselige Geschichte abzutun, die mit dem "wirklichen" Leben der Leser nichts zu tun hat. Kleinere grammatikalische Brüche, was die Tempi anbetrifft, können vor diesem Hintergrund getrost vernachlässigt werden.
Indem die beiden Journalisten im Anhang auch Fachleute (Prof. Dr. Monika Frommel, Direktorin des Instituts für Sanktionsrecht und Kriminologie der Christian-Albrechts-Universität Kiel; Prof. Dr. Klaus Hurrelmann, Soziologe am Institut für Bevölkerungsforschung und Sozialpolitik der Universität Bielefeld; Prof. Dr. Thomas Feltes, Rektor der Hochschule für Polizei in Villingen-Schwenningen; Prof. Dr. Joachim Kersten, Soziologe an der Hochschule für Polizei in Villingen-Schwenningen) zu Wort kommen lassen, sowie im Text immer wieder Studien und Untersuchungen zum Thema Kinderkriminalität zitieren, geht das Buch über eine "bloße" detaillierte Schilderung zweier grauenvoller Morde hinaus.
Das Fazit aus dem Buch bleibt trotz alledem eher trist: Patentlösungen für die Behandlung "auffälliger Problemkinder" gibt es nicht. Wohl aber Ansätze, was man tun - und vor allem vermeiden! - könnte.

Miss Sophie