Das Buch direkt bei Amazon bestellen Roberto Estrada Bourgeois
Ein Modigliani aus Kuba

Original: Modigliani
Distel Literaturverlag TB
ISBN 3-923208-39-1

Eine junge Kunsthistorikerin aus Havanna, deren Namen wir nie erfahren werden, ist, was in anderen Breitengraden eine Überlebenskünstlerin, in Kuba aber schlichtweg Jinetera genannt wird.
Sie trifft auf den eleganten Italiener Marcello, der für betuchte Abnehmer kubanische Kulturgüter nach Europa schmuggelt. Es beginnt der Traum vom besseren Leben...
Aber damit beginnen auch die Schwierigkeiten. Sie wird in einen Mord verwickelt, taucht unter und folgt Marcello nach Rom.
Als sie von ihm den Auftrag erhält, einen aus Kuba geschmuggelten "Modigliani""in Paris zu verkaufen, gerät sie endgültig in Schwierigkeiten...

Rezension:
Waren Sie schon mal auf Kuba?
Dort, wo Geschichtenerzähler bei den Zigarrendreherinnen sitzen, wo man sich für Kaffee und Zucker und Eier anstellt, wo die blauen Azulejos aus den Treppenhäusern gelöst wurden und als Küchenfliesen in die Ein-Raum-Wohnungen eingebaut wurden, um das Flair eines Appartements irgendwo in Europa nachzuahmen, wo junge langghaarige Männer mit Iddé-Glücksbringern am Handgelenk den Besitz ihrer Großmütter verscherbeln, wo studierte Kunsthistorikerinnen mit dem Verkauf von Seife mehr verdienen, als mit ihrem Beruf.
Wenn der Seifenverkauf an seine Mitmenschen schon lukrativ ist, wie viel mehr lukrativ wäre erst der Verkauf von Kunstschätzen an Europäer? Die kaufen teure Havannas, warum nicht auch billige Modiglianis?
Da lebt nun die Kunsthistorikerin in einem Zimmer im höchsten bewohnbaren Stockwerk eines Hauses und meistert ihr Leben mit Chuzpe und kleinen Tricks. Sie weiss zu beobachten, sich darzustellen und das Leben zu meistern, ohne sich an Männer zu verkaufen oder zu stehlen.
Okay, ein schlechtes Gewissen bleibt, die Eigentümer kubanischer Kulturgüter wissen nichts vom Wert ihres Besitzes, aber ist es ein Verbrechen, sich den Kühlschrank für einen Monat füllen zu können?
Ein männlicher Autor berichtet atmosphärisch dicht aus der Sicht dieser Frau, die, ohne wirklich weg zu wollen, von einem anderen Leben träumt und auf einmal wirklich in einem Straßencafe am anderen Ende der Welt sitzt.
Und zwar ohne den Mann der Träume, der in Europa eh nicht so ganz der war, für den man ihn in Havanna zugegeben auch wohl nie wirklich gehalten hat.
Hasta la vista, baby!

Iris Groschek

 

Gastrezension(en):


Name: Torsten Gellner
Email: t_gellner@yahoo.de
Datum: 6.3.2000 (15:14)

Havanna, Kuba: Sonne, Rum, schöne Frauen, gute Zigarren, Fidel Castro, Lebensfreude, alte Männer, die Musik machen. Und Armut. Letzteres wird ja nur allzugern verdrängt. In der Metropole Havanna herrscht nun mal für die Mehrheit der Bevölkerung kein beschwingtes Baccardi-Feeling. Der Kampf ums Überleben bestimmt den Alltag. So auch für die namenlose Heldin aus Roberto Estrada Bourgeois‘ Krimidebut „Ein Modigliani aus Kuba“. Ihr Job als Leiterin eines Literaturworkshops bringt nur einen kargen Hungerlohn, also verdient sich die studierte Kunsthistorikerin ein beachtliches Zubrot mit dem illegalen (!) Verkauf von Seife. Das stundenlange Schlangestehen für die tägliche Essensration hat ein Ende, der Traum von einem besseren Leben beginnt Wirklichkeit zu werden. Ihr Glück scheint perfekt, als sie eines Tages auf den charmanten Italiener Marcello trifft, der kubanische Kunstgegenstände auf dem europäischen Schwarzmarkt verkauft. Sie arbeitet für ihn, verdient an einem Tag soviel, wie sie normalerweise in Monaten nicht zusammenbekommt. Zu schön, um war zu sein. Zu schön, um ein ordentlicher Krimi zu sein. Denn der sollte doch zumindest einen kleinen Mord sein Eigen nennen können. Also liefert Bourgeois das obligatorische Kapitalverbrechen nach: Die Heldin wird eigentlich ganz zufällig Zeugin eines Mordes und flieht aus Angst vor der Polizei zu Marcello nach Italien. Doch leider ist auch dort nicht alles Gold, was glänzt und nicht jeder Modigliani, auf dem Modigliani draufsteht, ist auch einer... Der Roman - der Kürze wegen eher eine Erzählung - kann trotz der glücklicherweise realistisch gezeichneten lateinamerikanischen Kulisse nicht überzeugen. Der Mord geschieht eher beiläufig, hat mit der übrigen Handlung nicht allzuviel zu tun und wirkt seltsam deplaziert. Nun gut, was ein echter Krimi sein will, muß halt auch ein bißchen Blut und Gewalt aufweisen können, mag es auch noch so aufgesetzt wirken. Wenn es denn wenigstens spannend inszeniert wäre! Der einzige Spannungskniff, der Bourgeois einfällt, ist ein alter Hut: Frau verliert Ausweis am Tatort. Und als ob es nicht schon zuviel des Guten wäre, trifft sie dann, nach erfolgreicher Ausweis-Rückhol-Aktion auch noch auf einen Polizisten! Hilfe! Naja, wenigstens sind die Frauen des Minikrimis „elegant“ anzuschauen. Etwas zu elegant vielleicht, denn eine andere Vokabel für die Beschreibung weiblicher (und männlicher) Schönheit ist Bourgeois dummerweise nicht eingefallen. Das Pärchen am Nebentisch im Café ist „von schlichter Eleganz“, die Nachbarin „wäre wahrscheinlich elegant, wenn...“, Marcello ist sowieso ein „eleganter Mann“. So einfach kann man Sympathieträger charakterisieren. Das restliche Personal hat entweder zu „dicke Hintern“ oder es mangelt ihnen einfach an „Stil“. Bourgeois‘ Sprache ist zu vage, bedient abgedroschene Klischees. Er beschreibt lediglich Typen anstatt Menschen aus Fleisch und Blut zu kreieren, die doch so gut in seine desillusionierende Schilderung kubanischen Alltags passen würden. Leider hat es der Autor nicht geschafft die halbzerfallenen Häusern, dreckigen Straßen und die nackte Armut durch eine entsprechend originelle Geschichte mit Leben zu erfüllen. Eine verschenkte Chance.