Das Buch direkt bei Amazon bestellen Shulamit Lapid
Der tote Bräutigam

Original:
C. Bertelsmann gebunden
ISBN 3-570-00317-5

Es gehört nun mal zu den Aufgaben einer Lokalreporterin, über alles und jedes, was in der Stadt gerade passiert, informiert zu sein. Könnte ja sein, daß dabei eine interessante Geschichte herausspringt. So ist auch der Besuch bei den Streikenden der Textilfabrik Sargon für Lisi Badichi, die eigenwillige Reporterin aus der Negev-Wüste, eher eine Routineangelegenheit. Außer daß ihre energische Mutter zum Streikkomitee gehört und ihr ordentlich Dampf macht, groß über das Anliegen der Arbeiter zu berichten. Doch als Lisi nach einem Sandsturm auf dem Gelände der Fabrik eintrifft, findet sie dort nicht ihre Mutter vor, sondern einen Sterbenden. Außerdem eine vom Sturm freigelegte Leiche.
Zunächst glaubt Lisi, daß es sich bei dem Drama nur um lukrative Landkäufe und gestohlene Diamanten im Umfeld der reichen Familie Tarshish geht. Doch im Unterschied zu ihrem gewohnt jähzornigen Schwager, dem Polizeiinspektor Benzi Koresh, wachsen ihre Zweifel.
Warum mußten drei Männer sterben?
Wer versuchte die russische Einwanderin Luba mit ihrem Baby zu ermorden und wer attackiert Lisi mit einer Eisenstange?
Kein Wunder, daß Lisi vom Jagdfieber gepackt wird; je verwirrender und undurchsichtiger die Story, desto größer ist ihr Ehrgeiz, Licht in das Dunkel zu bringen und ihren Schwager auszustechen.
Doch am Schluß stellt Lisi überrascht fest, daß die Lösung viel einfacher ist als zunächst vermutet ...

Rezension:
Es gibt viel Sand im Lande Israel.
Bemerkbar vor allem für die, die am Rande der Wüste wohnen. Be´er Scheva ist so ein Ort, der gerade von einem Sandsturm heimgesucht wird, als die Geschichte beginnt. Der Sturm kommt, der Sand geht und legt die Hand eines Toten frei. Eine Journalistin findet die Leiche und daneben einen zusammen geschlagenen Einsiedler, der der Täter sein könnte.
Lisi Badichi ist, wenn man es ihr auch nicht ansieht, eine Powerfrau, eine, die hinter die Dinge kommen möchte und die Geschichte hinter der Geschichte sucht, eine, die den ganzen Ort kennt und mit dem halben Ort verwandt ist. Nicht unbedingt einfach, da den Überblick zu behalten und aus dem Wust an neuen Leuten mit fremden Namen sich an die zu erinnern, die dann zu Tätern werden.
Die ersten Kapitel des Buches rieseln doch recht langsam vor sich hin. Viele Personen sind kennen zu lernen und verschiedene Handlungsstränge zu verfolgen.
Als Leser begleite ich die sympathisch untypisch-journalistisch auftretende Reporterin, die auf andere Personen einen eher langsamen Eindruck macht, Tag für Tag und erlebe ihre Recherche eins-zu-eins mit.
Ich bin dabei, wenn Lisi ihre Mutter besucht, die das Kind einer russischen Einwanderin betreut, seit sie ihren Job in der Fabrik verlor; höre mit, wenn Lisi mit einem der jungen Besitzer der Strickfabrik spricht, um einen Artikel über den Verkauf des Geländes zu recherchieren; bekomme es mit, wenn Lisi ihre Schwager bei der Polizei besucht und dort einen ungepflegten Cowboystiefelträger kennen lernt, der aber doch so unsympathisch nicht sein kann, da Lisi ihn mit in ihr Bett nimmt, wenn er dutzendweise Maisdosen vor ihre Haustür stapelt.
Und merke, wie sich das Bild langsam verdichtet, wie ich immer mehr Bilder von den Einwohnern der Stadt bekomme, wie Lisis Erlebnisse, die zu meinen werden, sich zu einem Ganzen verbinden.
Die ganze Geschichte mit ihren Haupt- und Nebenpersonen scheint realistisch, so als gäbe es die Fabrik, die kleine Stadt mit ihren zum Teil skurrilen Bewohnern, den Mord an dem Mann, der der "Bräutigam" genannt wird, da er in einem schicken Anzug und mit einer teuren Armbanduhr gefunden wurde, die toughe Journalistin tatsächlich.
Nebenbei lerne ich etwas über Israel, über religiöse Rituale, über jüdische Namensgebung, über Vorurteile gegenüber Polen und darüber, wie aus den verschiedenen Erlebnissen einer Woche eine zusammenhängende Geschichte wird.
Fazit? Ein spannendes Buch, in das man sich "reinliest", in jedem Fall so geschrieben, daß nicht nur Geschichtslehrerinnen der Sekundarstufe II ihre Freude daran haben werden.

Iris Groschek