Das Buch direkt bei Amazon bestellen Eliette Abécassis
Asche und Gold

Original: L'Or et la Cendre
Diana, gebunden
ISBN 3-8284-0037-X

Ein grausamer Mord. Motivsuche in dunkelster Vergangenheit. Ein Pakt mit dem Teufel, um das Rätsel zu lösen und die Liebe einer Frau zu gewinnen. So wird für den Helden dieses raffinierten Thrillers die Suche nach der Wahrheit auch eine Suche nach sich selbst und nach dem Ursprung des Bösen im Menschen überhaupt.
Ein bekannter deutscher Politiker wird ermordet, aber nur eine Hälfte seiner Leiche gefunden. Entschlossen, das Verbrechen aufzudecken, machen sich der junge Historiker Raphael und ein befreundeter Journalist auf Spurensuche in der ganzen Welt, von Washington bis Berlin, von Jerusalem bis Auschwitz.
Dann taucht in Washington ein Video der bestialischen Tat auf, in dem auch ein braunes Heft zu sehen ist, das der Schlüssel zu einer großen Verschwörung zu sein scheint. Handelt es sich bei dem braunen Heft um die geheimen Aufzeichnungen eines SS-Offiziers? Beinhaltete es das Böse schlechthin?
Plötzlich sind immer mehr an der Jagd beteiligt: CIA-Agenten, ehemalige Resistancekämpfer, Ordensbrüder und Nazijäger, Identitäten werden verschleiert, niemand ist, was er zu sein scheint.
In seiner wachsenden Verzweiflung kann Raphael niemandem mehr trauen, am wenigsten sich selbst.

Rezension:
Ein Roman über religiöse Fanatiker und fanatische Historiker.
Ein Roman rund um "was hättest du getan?"
Ein Roman über das Hineinversetzen in andere, auch in Täter.
Ein Roman über das Böse in der Welt und in den Menschen und die Frage, was ist das Böse, und woher kommt es?
Ein Roman über das WIE des Lebens nach Auschwitz; ein Roman über Hass und die fanatische Überzeugung: die Juden sind an allem Schuld.
Asche und Gold ist der Name einer Skulptur, an der die jüdische Bildhauerin Lisa Perlman arbeitet. Sie zeigt starke Männerarme und eine verhüllte Frau. Zieht der Mann die Frau aus der Asche - oder stößt er sie in den Sumpf hinein?
Ein Roman über religiöse Führer, über Antisemitismus und Gnostizismus. Oh, Himmel, ein Roman über Gnostizismus? Ja, und er ist ultraspannend.
Die junge französische Philosophie-Dozentin Abécassis erzählt in einer variantenreichen Sprache. Worte wiederholen sich, Begriffe werden immer neu umschrieben. Dennoch sind es klare Sätze, mit Worten, die wiederholt und gesteigert werden, um eine Szene noch deutlicher zu machen. Wort für Wort muss entblättert werden, um auf diese Weise vielleicht das "Dahinter" zu entdecken.
Asche und Gold ist mehr als eine Geschichte. Die Autorin versucht eine Erklärung realer Ereignisse durch fiktive Personen. Ein Buch, dessen Worte aufmerksam machen, dessen Sätze einen umspinnen und nicht mehr los lassen. Die Autorin vermag durch eine Mischung von verschachtelten Sätzen und Satzbruchstücken, durch den Wechsel von Szenenschilderungen und Gedankenfetzen Stimmungen und Situationen so gekonnt zu beschreiben, dass sich der Leser in die Akteure hinein versetzen kann. Er bekommt die Gedanken des Ich-Erzählers mit, sieht, wie Ideen und Gefühle in ihm entstehen. Dazu verbindet sich die Geschichte des Krimis mit den eigenen Erinnerungen an anderswo Gelesenes, Gehörtes, Gesehenes. Diese Kombination ergibt die Faszination, die dieses Buch ausübt.
Wo Fiktion und Wahrheit aufeinander treffen, wird es natürlich auch schwierig. Es tauchen in diesem Buch wirkliche Personen und wirkliche Geschehnisse auf, so dass der Krimi den Eindruck einer Art Dokumentation macht, ein fiktives tägliches Tagebuch eines Historikers.
Der Anspruch, einer Wahrheit nahe zu kommen, ist aber auch gefährlich. Nicht jede vorkommende Person kann ausrecherchiert werden, es ist ja "nur" ein Krimi. Aber gerade wenn ein Krimi auch historischen Anspruch erhebt, sollten um der Erzählung willen keine Unwahrheiten "der Story wegen" vorkommen.
So wie auf S. 269, als von Ernst Biberstein berichtet wird. Der SS-Mann Ernst Biberstein, Leiter der Einsatzgruppe 6, war ein inzwischen aus der Kirche ausgetretener Ex-Propst, nicht Theologiestudent, der tagsüber mordete und abends seelsorgerisch tätig war - aber ein Theologiestudent als Einsatzgruppenleiter passt thematisch in die Rolle der Religion während der NS-Zeit, wie die Autorin sie sieht.
Doch ist dies vielleicht die Anmerkung eines Historikers mit der den Historikern so eigenen Anmaßung, die wahre Wahrheit zu kennen. Ein Kritikpunkt der Autorin ist eben dies, dass den Überlebenden der Shoah Gedächtnisverzerrungen und Erinnerungsfehler vorgeworfen wird, während die Historiker die echte Wahrheit für sich gepachtet hätten und mit dieser Einstellung die Überlebenden erneut diffamieren und zu Objekten degradieren würden.
Ein paar Rechtschreibfehler, die der Verlag dem aufmerksamen Leser nicht vorenthält, ärgern zwar, aber wo gibt es schon perfekt verlegte Bücher?
Im zweiten Drittel bricht die Philosophiedozentin in der Autorin vollends durch, nichts ist mehr klar, die Rollen tauschen und die Erzähler wechseln, wie auch die Sprache, die verwirrend wird, aber weiter fasziniert.
Wenn dann auch zeitweise eine etwas überbordende Sprache gewählt wurde und manchmal etwas mühsam zu lesen ist, da assoziative Gedankensprünge seitenlang ziemlich fordernd werden - es passt und es steigert die Aufregung, die man beim Lesen empfindet.
Wer wird dieses Buch nicht mehr aus der Hand legen können?
Es ist etwas für diejenigen, die schon immer geahnt haben, dass hinter diversen abstrusen religiösen Vorstellungen der reine Wahnsinn - oder doch - das Böse? - steckt.
Ein Buch für junge Menschen, die den Leistungskurs Geschichte oder Religion gewählt haben, weil sie fasziniert sind von religiösen Vorstellungen oder historischen Erklärungsversuchen, die gerne über Gott und die Welt philosophieren, über Liebe und Teufel.
Ein Buch, über dessen Theorien herrlich diskutiert werden kann.
Ein Buch für Menschen, die sich durch Geschichten, die wahr sein könnten, eingebettet in das wirkliche vergangene und doch aktuelle Leben, mitnehmen lassen auf eine Reise durch Erinnerungen, Eingebungen und Ideen.
Ein Buch für alle, die sich für die Zeit des Nationalsozialismus interessieren und für die Aufarbeitung dieser Zeit.
Letztendlich ist es auch ein Buch für Mediziner und Psychologen, wenn die Psychose der Hauptfigur mehr und mehr Gestalt annimmt, sie realitätsferne Dinge sieht und spürt und ihre Eingebungen ungefiltert an den Leser weitergegeben werden.

Iris Groschek