Das Buch direkt bei Amazon bestellen Jürgen Lodemann
Muttermord

Steidl gebunden
ISBN 3-88243-605-0

Bruno Legrand kommt heim. Seine Mutter hat er 27 Jahre nicht gesehen. Er war nicht bei der Beerdigung des Vaters, nicht bei der des Bruders, hat keine Briefe beantwortet. Doch plötzlich steht er in der Tür, Blumen in der Hand, ein Lächeln auf den Lippen.
Drei Tage verbringt Bruno Legrand mit seiner Mutter. Sie beschnuppern sich und finden bald ins Gespräch. Alte Geschichten, quicklebendig. Familiäre Allerweltstragödien, eng verflochten mit deutschen Begebenheiten, ein Filz aus Sippschaft, Zeitläufen und Kultur. Was so harmlos als Plauderei beginnt, dreht sich bald um deutsche Kriege, jüdisches Geld und Schweizer Konten.
Drei Generationen der Legrands dienen Jürgen Lodemann als deutsche Phänotypen: gebildet, erfolgreich, skrupellos. Lodemann spürt den Traditionslinien nach, die vom Kaiserreich zuerst zu den Nazis, dann aber in die Bundesrepublik führen.
Er zeigt, dass deutsche Innerlichkeit und Kultur oft nichts anderes sind, als eine rissige Schicht über einem tiefen, spießigen und brutalen Morast.

Rezension:
Der Sohn ruft nach 27 Jahren an: Muttchen, ich komm in 10 Minuten mal kurz vorbei.
Die Mutter, achtzigjährig, ist verwirrt, wäre wohl noch verwirrter, würde sie wissen, dass der Sohn vor hat, übermorgen ihr Zuhause besenrein anderen Zwecken zuzuführen.
Besenrein heißt ohne Möbel und ohne Muttchen.
Zwei Tage werden jetzt geschildert, in denen sich Mutter und Sohn unterhalten, oder: umkreisen, oder: nicht verstehen.
Muttchen ahnt was.
Und der Sohn, missraten eigentlich, immerhin schon 50, aber noch immer voller Angst, voller Abhängigkeit, voller Hass, spielt das Spiel eines Besuches, eines Plausches manchmal mit, manchmal auch nicht.
Zwei Tage, an deren Ende der Tod steht.
Ein Assoziativ-Krimi, der in abgehackten Gedankenwelten lebt, gesponnene Gedanken, wabernde Ideen. Diese Ideen sollen den Hintergrund für die Tat abstecken, sollen die Tat rechtfertigen.
So eine entzückende weißgelockte Dame ist auch ein Teil des Ganzen, auch Teil einer Familiensaga, die mit Unrecht und Machtmissbrauch und Tod ihr Geld gemacht hat.
Man sitzt und trinkt Tee aus zerbrechlichen Schälchen und legt silberne Messer und Gabeln auf kleinen chinesischen Rücken als Besteckbänkchen ab, in einem Haus, das mit Blut und Unrecht erworben wurde.
Der Sohn ist wütend, das ist das Recht der nächsten Generation.
Aber keine Rechtfertigung für einen Muttermord.
Aber eine Mutter ist ja generell an allem Schuld.
Letztlich auch am eigenen Tod?
Am Tod, den ihr der Sohn zufügt, der, der wütend ist und Recht und Wahrheit und Moral fordert und doch auch Teil der Familiensaga ist und doch auch Unrecht verübt, ohne moralischen Anspruch, des Geldes wegen.

Iris Groschek