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Bella Block: Kinderkorn

btb TB
ISBN 3-442-72703-0

Schauplatz: Das heruntergekommene Arbeiterviertel "Hoffnungsberg" in Hamburg.
Die rätselhaften Todesfälle einer Reihe kleiner Mädchen rufen Bella Block auf den Plan, obwohl sie eigentlich dem detektivischen Dasein abgeschworen hatte.
Wie immer begibt sie sich direkt ins Zentrum des Geschehens. Schnell stößt sie auf dunkle Machenschaften türkischer Jugendbanden, die den Drogenhandel und die Kinderprostitution organisieren.
Doch alle ihre Versuche, Licht in die Sache zu bringen, scheitern entweder an der Gleichgültigkeit der Anwohner oder an der Polizei, die nicht sieht - oder nicht sehen will -, was gespielt wird.
Immer wieder verfängt sich Bella in den gnadenlosen Gesetzen der Unterwelt.

Rezension:
Bella Block, ehemals Kriminalkommissarin, ehemals Privatdetektivin, immerhin Bewohnerin des teuersten Hamburger Viertels und mit Abneigung gegen Journalisten und Politiker erfüllt, schaut hin und kann auf ihrer Negativ-Liste die Gattung Polizist hinzufügen.
Bella, die von Menschen, die sich gerne noch Illusionen machen möchten, auch als fette, überhebliche, schlampige Alte bezeichnet wird, ist eine, die sich keine Illusionen machen will.
Daher guckt sie hin.
Und daher sieht sie mehr, als andere.
"Einfach ist, sich etwas vorzumachen über die Wirklichkeit, einfacher jedenfalls, als sie auszuhalten."
Und was ist die Wirklichkeit? Mit Alkohol ruhig gestellte Kleinkinder, verängstigte Jungen, Mädchen, die sich für Geld mißbrauchen lassen, Frauen ohne Selbstwertgefühl, gewaltbereite Männer.
So sieht die Wirklichkeit jedenfalls für Bella in einem Hochhausviertel aus, in dem sich gehäuft Mädchen töten. Die Polizei bekommt nicht heraus, warum das so ist. Wegen des Desinteresses der Anwohner? Oder weil die Polizei es auch gar nicht so genau wissen will? Oder steckt noch mehr dahinter?
Lapidar erzählt die Autorin vom Lebensalltag einfacher Menschen am Rande der Gesellschaft in einem Hochhausviertel am Rande der Stadt. Einem Lebensalltag, der gespickt ist mit täglichen Gräueln, die nicht immer als solche wahrgenommen werden.
Doris Gercke läßt nichts aus, was der Leser aus der bürgerlichen Mittelschicht an schlimmen Ahnungen über das Leben in solchen Siedlungen hat.
Dazu kommen gelangweilte wie korrupte Polizisten und Verschwörungstheorien. Zu viel? Immerhin geht die Gesellschaftskritik der Autorin, die als Bellas Einsichten von Meinungsmachern und Rollengebern in den Krimis vorkommt, nie so weit, als dass sie nicht auch Courage, Hilfe und Mitmenschlichkeit schildert.
Eingangs wähnt der Lesende sich wie in einem Filmanfang. Die Kamera verfolgt eine Person, begleitet sie, und wenn ihr eine andere Person begegnet, wechselt die Kamera auf diese über und verfolgt die weitere Handlung aus der Sicht dieser neuen Person.
So entsteht zunächst ein Gesamtbild, das in die Handlung, die Personen und den Ort des Geschehens einführt und den Leser sofort einfängt und nicht mehr loslässt.
Bei Doris Gercke mischen sich die Lebensgeschichten zu einem dichten mitreißenden Gesamtbild. Ihre klare Sprache nimmt Position ein. Sie beschreibt scheinbar objektiv - von einigen system- und gesellschaftskritischen Seitenhieben mal abgesehen - und vermittelt so subjektive Eindrücke.
Virtuos versteht die Autorin es, in wenigen Worten Stimmungen und Handlungen zu beschreiben, dass Anklänge an vage eigene Ideen und ureigene Ängste auftauchen. Und so ziehen ihre Bücher selbst politsch und gesellschaftlich konträr denkende Leser in den Bann.
Vielleicht bewirken die erfolgreichen Bella-Block-Romane angesichts der geschilderten Gleichgültigkeit und Hoffnungslosigkeit ein Nachdenken.
Und hoffentlich kommt es dann zu einem Schritt aufeinander zu; hoffentlich gewinnt das Miteinander, nicht das Mißtrauen, in einer Zeit, in der selbst Alice Schwarzer das Aufeinander-zu-gehen von Generationen wie von Mann und Frau fordert.
Also, von Bella Block lernen - vielleicht nicht gerade den Alkoholkonsum - aber umso mehr ihre Courage, Empathie und Menschlichkeit.

Iris Groschek