Das Buch direkt bei Amazon bestellen Carlo Lucarelli Peter Klöss
Der grüne Leguan

Original: Almost Blue
Deutsch von Peter Klöss
Dumont gebunden
ISBN 3-7701-4471-6

"Almost Blue" ist der Lieblingssong des 25-jährigen Simone, weil Chet Baker ihn mit geschlossenen Augen singt.
Simone ist von Geburt an blind.
Mit seinen elektronischen Geräten geht er auf die Jagd nach den Tönen und Stimmen der Stadt Bologna. Simone lotet die Stille aus. Jeder Klang hat für ihn eine Farbe: "Ein bildschönes Mädchen hätte blaues Haar".
Ein Serienmöder im studentischen Milieu von Bologna wird Leguan genannt, denn er schlüpft in die Haut seiner Opfer.
Der grüne Leguan: Grazia, die junge Fahnderin, macht Jagd auf ihn - mit Hilfe von Simone.

Rezension:
Ein wahnsinniger Killer, ein Blinder und eine Polizistin mit Menstruationsbeschwerden - um dieses eben so ungewöhnliche, wie mitreißende Trio kreist der Roman des italienischen Erfolgsautors und diesen Figuren sind auch die drei erst parallelen, dann sich überlappenden Handlungsstränge zugeordnet.
Zwei Ich-Erzähler tun ihr Bestes, um den Leser einerseits in ihre ganz spezielle Welt hineinzuziehen und ihn andererseits zu verwirren.
Da ist einmal der "Leguan", eine außerordentlich grausame, aber gleichzeitig auch ungemein tragische Person, die nicht nur permanent gegen die Stimmen und vor allem die Todesglocken in ihrem Kopf ankämpft, sondern auch vom Gedanken besessen ist, ein Tier unter der Haut zu haben und sich deswegen immer wieder (und immer häufiger) häuten zu müssen. Dies bewerkstelligt der Täter dadurch, dass er stets neue Identitäten annimmt - und dabei vor keiner Anstrengung zurückschreckt.
Der andere, der den Leser von der ersten Seite an packt mit seinen lebendigen und ganz und gar ungewohnten Schilderungen ist der junge Simone (im Italienischen ein gebräuchlicher Männername), von Geburt an blind, der seine sämtlichen Sinneseindrücke in Farben umwandelt. Den ganzen Tag lang ist er damit beschäftigt, Jazz zu hören oder mit acht Scannern aufzufangen, was an Geräuschen, Stimmen, elektrischen Impulsen durch den Äther fliegt. Egal ob der Austausch von LKW-Fahrern mittels CB-Funk, Nachrichten aus dem Polizeifunk oder Chats mit und ohne Mikrophon - Simone hört alles. Und erkennt inmitten dieser Kakophonie eine unheilschwangere Stimme.
So kommt es, dass er auf Grazia trifft, das dritte Element dieses unglaublich spannenden Romans, die Polizistin aus Lecce, die man nach Bologna geschickt hat, um den Serienmörder zu finden. Sie hat Instinkt und Biss - und den braucht sie auch, in dieser von Männern dominierten Welt, von dummdreisten Kollegen nicht nur belästigt, sondern nachgerade behindert, teils absichtlich, teils aufgrund purer Unfähigkeit.
Und während das Blut in Strömen fließt, die Verwirrung aller handelnden Personen ständig zunimmt und der Leser ob der sich überstürzenden Ereignisse gar nicht mehr zum Atmen kommt, fügt Lucarelli immer wieder völlig unerwartet Absätze reinster Poesie ein.
Mit Assoziationen spielt er, der "Shooting-Star" der italienischen Krimi-Szene, mit Worten, Klängen und Gefühlen. Dort ironisch überhöht, da metaphysisch angereichert und ein Feuerwerk an Emotionen wo man es am wenigstens erwartet.
Kein Wunder, dass das Buch mittlerweile verfilmt und als Theaterstück adaptiert wurde, ist es doch gleichermaßen verstörend und von ganz eigener Schönheit.

Miss Sophie