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Lobrede auf das fehlende Teil

Original: Éloge de la pièce manquante
Hoffmann und Campe gebunden
ISBN 3-455-00340-0

Es gibt den seriösen, wohl organisierten Club der Puzzlelogen und es gibt eine Fachzeitschrift.
Es finden regelmäßig Wettbewerbe und Schnelligkeits-Weltcups statt. Ausführlich wird die Frage nach dem schwierigsten Puzzle erörtert, und es gibt die eigene Sportberichterstattung in der "New York Times" und die glanzvollen Geschichten über individuelle Höchstleistungen.
Die Welt der Puzzlelogen teilt sich in Koloristen und Morphologen, so wie sie sich für andere in Kapitalisten und Kommunisten spaltet.
Und es gibt einen Serienmörder, der die beiden Favoriten ums Leben bringt ...
Wer hat Rijk Krijek und Olof Niels, die Favoriten im Weltcup-Finale des Geschwindigkeitspuzzelns ermordet?
Verdächtige gibt es genug unter den Puzzlelogen.
War es Spillsbury, der Konkurrent mit dem sagenhaften visuellen Gedächtnis?
Oder Sutter, der einflussreiche Vorsitzende der puzzlelogischen Gesellschaft?
Letztlich haben ein Kriminalroman und ein Puzzle die gleiche Struktur: Es gilt, die Teile zu einem Bild zusammenzufügen.
48 Kapitel hat dieser Roman, und setzt der Leser die Teile richtig zusammen, findet er - vielleicht - die Lösung: die Identität des Mörders, der die unfeine Art hat, seinen Opfern ein Gliedmaß abzuschneiden und am Tatort ein Polaroid des vermissten Teils zu hinterlassen.

Rezension:
Dies ist kein Krimi.
Es ist vielmehr so etwas wie eine Akte. Eine Ermittlungsakte.
Allerdings nicht im herkömmlichen Sinn, denn Ermittlungsakten dieser Art gibt es nicht auf Tischen von Kriminalkommissaren.
Es ist eine nicht chronologisch abgelegte Sammlung von Artikeln, Analysen, Protokollen, Berichten über die fiktive Welt der Profi-Puzzler. Die so ruhig und beschaulich, wie ihr Hobby scheinen mag, nicht ist. Denn es geht ein Mörder um in der Welt der Puzzlologen. Einer, der genau weiß, was er tut, aber doch nie gefasst werden wird. Er tötet und entfernt den Opfern Körperteile, die er durch Fotos ersetzt.
Ein ganzer Kosmos wird vor dem Leser ausgebreitet, so vielfältig und ausgetüftelt, dass es dem Leser arg real erscheint, wieso sollte es auch nicht eine Weltmeisterschaft im Geschwindigkeitspuzzlen geben?
In für Puzzlefans passenden 48 Kapiteln werden die fast wissenschaftliche Welt der Puzzles und die fast real erscheinende Welt des Alltags, in dem die Morde geschehen, miteinander verknüpft. Und wer kombiniert, der findet auch heraus, wer es ist, der die Fotopuzzlemorde verübt.
Der zweite Teil des Buches widmet sich dann der Aufklärung, indem der Leser selbst hinein steigt in diese Welt, die ihm die Ermittlungsakte eröffnet hat. Er schließt die Akte und macht sich auf den Weg zum Mörder. Und er findet ihn.
So etwas passiert also, wenn aus einem harmlosen Hobby ein einträglicher Weltsport wird. Da geht es um Schwierigkeitsstufen, Mysterypuzzles, Geschwindigkeit, um Macht und Ausbau einer doch einst ganz übersichtlichen Tätigkeit zum Zeit totschlagen zu einem ursprünglich elitären Konzern. Und um den Fall dieser Gesellschaft für Puzzlologie, weil andere neuere und PR-gerechtere Ideen haben.
Na, zum Glück für den Krimifan, passiert dann doch ein Mord.
Und die Art, wie die Toten gefunden werden, das ist doch wieder das Gebiet der Kriminologen. Man ahnt etwas, und muss dann doch noch Kapitel um Kapitel weiterlesen - die Anzahl der Fehden konkurrierender Puzzle-Vereine ist nicht gering ...
Und da der Autor gerne weitläufig wird - man erinnere sich an französische Autoren und französische Autorenfilme - hofft man schon fast auf den nächsten Mord und hangelt sich weiter durch das Gestrüpp der Kapitel, von Vorstandswahl zu Puzzlewettkampf von Puzzlewettkampf zu Vorstandswahl.
Der Autor, Leiter einer Internetfirma, macht aus einem klassischen Buch ein neues Projekt, wo die Kapitel keine Kapitel sondern Indizien sind.
Schon das ist neu.
Aber ursprünglich wollte Autor Antoine Bello sogar noch weiter gehen. Die einzelnen Kapitel sollten einzeln gedruckt und gemischt werden oder - noch besser - als interaktiver Roman hätten die einzelnen Puzzleteile per Zufall im www aufgerufen werden können.
Ein vernetzter Roman mit frei wählbaren Links ohne Erzähler. So dass der Leser eine noch größere kriminalistische Neugier und puzzlelogisches Talent an den Tag hätten legen müssen.
Aber auch die Wahl gehabt hätte, nicht jede Preisträgerliste und nicht jedes Sitzungsprotokoll lesen zu müssen - den entsprechenden Links zu folgen wäre ja nicht zwingend notwendig gewesen.
Letztendlich hat Bello seine Idee verworfen (oder war es doch der Verlag, der nicht mitziehen wollte bei einer solch komplett neuen Form von Literatur?) . Aber auch so ist dies Buch außergewöhnlich genug.
Dazu kommt der erstaunliche zweite Teil, in dem der Leser sich selber liest.
Das ist dann so etwas wie eine Belohnung, denn es kommt doch noch etwas Action in die Handlung.
Und ein doch einigermaßen überraschendes Finale.

Iris Groschek