Dennis Lehane
Andrea Fischer
Kein Kinderspiel
Original: Gone, Baby, Gone
Das Bostoner Detektivpärchen Patrick Kenzie und Angela Gennaro wird beauftragt, ein entführtes vierjähriges Mädchen wiederzufinden. Bei ihren Ermittlungen arbeiten sie eng mit zwei Polizisten zusammen, die einer Sondereinheit für vermisste Kinder angehören.
Rezension:
Reinhard Jahn
Deutsch von Andrea Fischer
Ullstein TB
ISBN 3-548-24841-1
Als bei einer gescheiterten Lösegeldübergabe mehrere Menschen getötet werden, wird Patrick und Angela allmählich klar, dass es bei dieser Entführung um viel mehr geht, als sie ursprünglich vermutet hatten.
Der schwierige und undurchsichtige Fall entwickelt sich zu einer Zerreißprobe für das bewährte Duo.
Jeden Tag werden in den USA 2300 Kinder vermisst gemeldet - Amanda McCready, vier Jahre alt, ist nur eines davon. Amanda ist vier, sie ist aus der Wohnung ihrer Mutter verschwunden und steht seitdem auf Platz eins in der News-Shows im Bostoner Lokalfernsehen.
Bis Patrick Kenzie und Angela Gennaro sich überhaupt erst mit dem Fall abgeben, muss der Bruder von Amandas Mutter erst einmal lange auf die beiden Detektive einreden. Schließlich befasst sich die Polizei mit dem Fall, und verschwundene Kinder zu suchen ist ein undankbares Geschäft.
Was Patrick Kenzie und Angela Gennaro dann auch umgehend erfahren, als sie der einzigen dünnen Spur nachgehen. Danach ist Amandas Mutter nicht einfach nur die heruntergekommene mediengeile Vorstadtschlampe, sondern auch früher mal in Sachen Drogen als Kurier für ein paar schlimme Jungs aus dem Viertel unterwegs gewesen. Dabei sind auf ihrer letzten Tour um die 200.000 Dollar abhanden gekommen - da liegt der Verdacht nahe, dass die Gangster jetzt ihr Kind als Druckmittel benutzen, um wieder an ihr Geld zu kommen.
Ein ganz düsteres Gelände der Halb- und Unterwelt Bostons also, auf das Kenzie und Gennaro auf einmal geraten. Wenn sie nicht die beiden Bullen Broussard und Poole aus der Sonderkommission "Amanda" an ihrer Seite hätten, würden sie die Sache wahrscheinlich lieber heute als morgen aufgeben.
Dennis Lahane bürstet in dieser Geschichte einige Thriller-Klischees gegen den Strich - dezent und niemals so deutlich, dass der mainstream-Krimifan verärgert würde: hinter dem Kidnapping stehen ganz andere Motive, als unsere beiden Helden es jemals vermutet hätten, und es wird auch schnell klar, dass nicht jede Mutter ihren Nachwuchs wie eine Löwin verteidigt - auch wenn uns das die Fernsehserien immer wieder einreden wollen.
Mit Kenzies und Gennaros Suche nach dem Kind führt Dennis Lehane uns in die Keller einer Gesellschaft ohne Zukunft - denn wenn auf nichts mehr Verlass ist, dann bleibt am Ende nur noch der Kampf Mann gegen Mann, um die Verhältnisse wenigstens für den Moment zu ordnen. Bei der Frage, ob Lehanes Sicht auf die amerikanische Gesellschaft jetzt einfach nur genremäßig "noir" ist oder ganz generell zynisch neigt sich die Waage wenigstens bei diesem Roman zum Letzteren.