Das Buch direkt bei Amazon bestellen Anja Salewsky
'Der olle Hitler soll sterben!' - Erinnerungen an den jüdischen Kindertransport nach England

Claasen gebunden
ISBN 3-546-00271-7

"Der olle Hitler soll sterben!" - das schrie die vierzehn Jahre alte Eva Heymann aus dem Fenster, nachdem der Zug die deutsche Grenze passierte. Sie war eines der zehntausend jüdischen Kinder, die 1938-39 durch diene einzigartige Rettungsaktion der Verfolgung durch die Nazis entkam.
Nachdem in der Reichspogromnacht der Terror gegen die Juden in ungewohnter Brutalität eskalierte, beschloss die englische Regierung, jüdische Kinder aufzunehmen - vorausgesetzt, sie kämen allein.
Viele Mütter und Väter rangen sich zu diesem schweren Schritt durch - eine Verzweiflungstat, denn die Aussicht, die Kinder jemals wiederzusehen war gering.
In einem großartigen Akt der Improvisation wurden Pflegeeltern in England gesucht. Und meist entschied der Zufall über den weiteren Lebensweg der Kinder. Während die einen in exzellenten Internaten unterkamen, wartete auf andere ein einsames Dasein als billiges Dienstmädchen.
Allen Kindern gemeinsam aber war die Ungewissheit über das Schicksal der Eltern in Deutschland, und in den Kriegswirren flossen die Briefe immer spärlicher. Die wenigsten der Eltern haben das Grauen des Holocaust überlebt.
Anja Salewsky hat mit den geretteten Kindern von damals über sechzig Jahre später in England gesprochen. Sie berichten von ihrem Alltag in Nazi-Deutschland, wie sie ihn als Kinder erlebten.
Sie erzählen von den Schuldgefühlen gegenüber ihren Angehörigen, die zurückgeblieben und umgebracht worden sind, aber auch von ihren Erlebnissen in einem fremden Land und den Menschen, die ihnen ein neues Zuhause gaben.

Rezension:
Wie entsetzlich verzweifelt muss jemand sein, der sich freiwillig von seinem Kind trennt, ohne zu wissen, ob er es jemals wiedersehen wird? Umso mehr, wenn es gilt, den eigenen Sohn oder die Tochter nicht etwa in die Obhut von Freunden zu geben, sondern sie einem völlig ungewissen Schicksal in einem fremden Land zu überantworten - angewiesen auf die Gutherzigkeit und Fürsorge unbekannter Menschen.
Tausende von Eltern haben sich 1938/39 dennoch zu diesem Schritt entschlossen -im Zuge der Aktion "Kindertransport nach England", einem noch weitgehend unbekannten Stück Zeitgeschichte gerade für jüngere Generationen.
Wie sich das in der Praxis darstellte, welche Folgen das Auseinanderreißen von Familien nach sich zog, zeigte die Autorin zunächst in einer Rundfunksendung und nun in diesem ebenso beeindruckenden wie bedrückenden Buch, in dem sie die Ergebnisse ihrer langjährigen Recherche zusammenfasst.
Rund ein Dutzend Einzelschicksale bringt die Bremerhavenerin dem Leser nahe, indem sie das Leben der verschiedenen Personen nachzeichnet. Packend, ohne reißerisch zu sein und immer wieder angereichert mit persönlichen Erzählungen und Kommentaren der Betroffenen, beschreibt sie deren Elternhaus und frühe Kindheit, aber vor allem die familiären und politischen Rahmenbedingungen und Entwicklungen, die jeweils zu einer "Verschickung" führten.
Davon unberührt zu bleiben, ist unmöglich - gerade wenn man selbst Vater oder Mutter ist. Allein der Gedanke, einem Kleinkind erklären zu müssen, warum es Papa und Mama verlassen muss, ist grauenvoll.
Auch der Rest nicht minder. Denn ebenso wie manche Kinder warmherzige Aufnahme fanden bei Leuten, die ihr letztes Stück Brot mit den kleinen Flüchtlingen teilten, mussten andere sich ihren Lebensunterhalt mit harter Arbeit verdienen, wurden ausgenutzt oder einfach "nur" ignoriert - kein liebes Wort, keine Umarmung, kein wie auch immer geartetes Zeichen von Zuneigung ... Auch Geschwister wurden häufig getrennt.
Und mit dem Ende des Krieges war mitnichten alles vorbei.
Manche der Kinder mussten erfahren, dass ihre gesamte Familie ausgelöscht wurde, während sie selbst am Leben bleiben konnten. Andere, vor allem jene, die als Kleinkinder nach England gekommen waren, riss man plötzlich wieder heraus aus den Pflegefamilien, um sie mit ihren leiblichen Eltern zu vereinen.
In fast allen Fällen jedoch war es unmöglich, dort anzuknüpfen, wo man aufgehört hatte, als die Kinder den Zug bestiegen. Nicht nur aufgrund des Sprachproblems - hatten sich die Jungen und Mädchen doch meist jahrelang vorwiegend auf Englisch verständigt. Nein, vor allem deswegen, weil sie erwachsen oder doch zumindest älter geworden waren und ganz andere Erfahrungen gemacht hatten als ihre Eltern, die teilweise bis nach Südamerika geflüchtet waren.
Sich diese Tatsachen vor Augen zu führen, das Ganze gedanklich durchzuspielen und zu der festen Überzeugung zu gelangen, dass solche oder ähnliche Dinge mit allen Mitteln für die Zukunft verhindert werden müssen, dazu dient dieses wahrlich lesenswerte Buch. Fotografien, Dokumente und Briefe tun ein übriges, um die Eindringlichkeit der Beschreibungen und Statements zu erhöhen.
Und doch bleibt ein bitterer Nachgeschmack:
Eva, Beate, Hannelore, Walter und wie sie alle hießen wurden gerettet, durften leben und teilweise sogar ihre Angehörigen wieder in die Arme schließen.
Was aber ist mit den Tausenden von Kindern, die in den heutigen Kriegswirren überall auf der Welt von ihren Eltern getrennt werden? Bieten WIR ihnen Hilfe an, nehmen sie in unsere Mitte auf, lindern ihre körperliche und seelische Not und tun alles, um sie wieder mit ihren Familien zusammenzuführen?

Miss Sophie