Das Buch direkt bei Amazon bestellen Jeffery Deaver
Die Saat des Bösen

Original: Speaking in Tongues
Goldmann TB
ISBN 3-442-43715-6

Die siebzehnjährige Megan ist spurlos verschwunden.
Ihr Vater Paul, ein ehemaliger Staatsanwalt, hat den furchtbaren Verdacht, dass seine Tochter entführt wurde. In seinem Beruf macht man sich viele Feinde, und nicht immer verurteilt die Justiz den wahren Schuldigen.
Da die Polizei nicht an ein Verbrechen glaubt, sucht er Megan auf eigene Faust.
Ein Wettlauf gegen das Böse beginnt.

Rezension:
Wer hier einen der üblichen Deaver-Romane erwartet, wird enttäuscht.
Kapitel um Kapitel vergeht - und noch immer ist kein FBI-Spezialistenteam im Einsatz, kein Ultimatum gestellt, nur so viel ist klar: ein Mann, der offensichtlich große Probleme hat ("haben muss" - andernfalls würde er kaum auf Seite zwölf eine Leiche aus einem Mausoleum holen), tut etwas, was er besser nicht getan hätte.
Ein weiterer, nicht unbedeutender Unterschied zu den anderen, ins Deutsche übersetzten Thrillern des Autors, ist die Tatsache, dass sich hier nicht ausgewählte Spezialisten aufmachen, einen Verbrecher zu stellen und/oder eine Katastrophe zu verhindern, sondern unmittelbar ins Geschehen involvierte Familienangehörige des verschwundenen Mädchens.
Sie bei ihrer Suche zu beobachten und "ganz nebenbei" die psychologische Entwicklung der einzelnen Figuren sowie deren sich wandelnde wechselseitige Beziehung - das allein ist schon recht dramatisch.
Zu verfolgen, wie sich das Netz um den Psychopathen zwar immer enger zieht, er aber (wie sollte es anders sein) immer noch einen Dreh findet, sich daraus zu befreien und/oder sich unliebsamer Zeugen zu entledigen - das ist Hochspannung pur.
Die unterschiedlichen Perspektiven, aus denen Deaver seine Leser am Geschehen teilhaben lässt, bringen nicht nur die Handlung voran, sondern ergeben nach und nach ein deutlicheres Bild aller Beteiligten, als es eine ausführliche Einführung der einzelnen Personen je vermocht hätte.
Alle haben sie ihre Probleme:
Megan, deren Verschwinden das zentrale Element ist.
Tate und Bett, ihre (geschiedenen) Eltern, die allen Auseinandersetzungen zum Trotz in dieser Sache vereint vorgehen.
Dimitri Gregor Konstantinatis, der Polizist, der seine gesamte weitere berufliche Zukunft aufs Spiel setzt, um seinem alten Freund Tate zu helfen und
Joshua LeFevre, Megans "Ex", gut aussehend, sportlich, aus bestem Haus und ein begnadeter Künstler.
Doch alle haben sie nur EIN Ziel: Megan so schnell als möglich zu finden.
Denn natürlich spielt der Zeitfaktor dann doch eine nicht unerhebliche Rolle (was im übrigen, auch wenn Sie noch so viele Deaver-Romane gelesen haben, immer noch jedes Mal die Spannung nach oben treibt).
Andere "Versatzstücke" allerdings fehlen: wo der Autor sonst mit Vorliebe den Leser verwirrt, wenn es darum geht, "die Guten" und "die Bösen" auseinander zu halten, ist hier die Rollenverteilung von Anfang an klar. Auch werden von Seiten der "Ermittler" (ob Profi oder Laien) keine "besonderen" Fachkenntnisse benötigt, wie sie Deavers Protagonisten in der Regel besitzen. Das alles spielt aber für die Wertung des Buches natürlich absolut keine Rolle, dürfte nur für Fans von Interesse sein.
Insgesamt gilt: wunderbar gezeichnete Charaktere geben sich in diesem Thriller ein Stelldichein mit einer rasanten Handlung, sowie einer gehörigen Portion beunruhigender, gruseliger und ekliger Details, die sich zartbesaitete Gemüter besser ersparen sollten.
Allerdings sorgt ein versöhnliches Ende nach all den Gräueltaten dafür, dass der Leser trotz Blut, Schweiß und Tränen satt, in einen ruhigen Schlaf findet. Auch dafür sei Deaver an dieser Stelle noch einmal gelobt: ob knalliger Schlusspunkt, "Rausgeher" mit Witz oder angedeutete Romantik - stets findet der Autor einen Weg, Ihren Puls auf "normale" Betriebsgeschwindigkeit herunterzufahren, bevor er Sie aus seinen Büchern "entlässt".
Und das ist - wie jeder gute Regisseur weiß - die beste Voraussetzung dafür, dass Sie auch morgen wieder gerne zugreifen, wenn der Buchhändler Ihres Vertrauens Sie wissen lässt: "Ich hätte da wieder was von Deaver ...."

Miss Sophie