Das Buch direkt bei Amazon bestellen Michael Innes
Klagelied auf einen Dichter

Original: Lament for a maker
(3. Band John Appleby)
Dumont TB
ISBN 3-7701-4446-5

"Den Besuch bei Miss Mathers würde ich gerne auf später verschieben. Ich habe noch eine weitere Frage an sie, und die möchte ich mir noch aufheben."
Wedderburn, der eben Miss Guthrie in den Mantel half, wandte sich um. "Und die wäre?"
"Ob ihr Onkel jemals Wintersport trieb."
"Ein höchst rätselhaftes Anliegen."
Noel Gylby, der sich vorausschauend die Taschen mit gebuttertem Zwieback voll stopfte, hielt einen Augenblick dabei inne. "Sie werden feststellen", sagte er, "dass Appleby für jeden von uns eine solche Frage hat. Wie lautet denn meine?"
"Nur eine Kleinigkeit. Wir wissen, welche Botschaft die gelehrte Ratte überbrachte. Doch was wollte ihnen die unbekannte Eule sagen?"

Rezension:
Randal Guthrie, der eigenbrötlerische Gutsherr von Erchany, lebt allein auf seiner mittelalterlichen Burg mit seinem Mündel Christine und dem Verwalterehepaar Hardcastle. Er ist krankhaft geizig und nicht nur deshalb sehr unbeliebt bei der Dorfbevölkerung.
So wundert sich das ganze Dorf, als Guthrie auf einmal die, vor über vierzig Jahren verschlossenen unbenützten Räume der Burg, öffnen lässt und plötzlich großzügige Einkäufe macht.
Doch als es zu großen Schneefällen kommt und das Dorf Glen Erchany von der Außenwelt abgeschnitten wird, wenden sich die Bewohner bald anderen Dingen zu.
Aber am Weihnachtsmorgen erhalten sie die Nachricht, dass Guthrie tot ist. Er soll um Mitternacht von seinem Turm gesprungen sein.
Schon bald machen die absurdesten Gerüchte die Runde und ein Rechtsanwalt aus Edinburgh erscheint, um den Todesfall zu untersuchen. Nach der gerichtlichen Untersuchung scheint der Fall geklärt zu sein, doch John Appleby von Scotland Yard glaubt nicht daran und findet auch schon bald Indizien, die dafür sprechen, dass ein anderer Tathergang wahrscheinlich ist.
Und so gibt es bald mehr als eine Lösung und wer entscheidet nun, welche der Wahrheit entspricht?
Michael Innes hat mit diesem klassischen Detektivroman sein Meisterstück vorgelegt:
Der Fall, eigentlich von Anfang an klar, wird mit jedem neuen Indiz immer verwirrender, statt logischer.
Hat Guthrie nun Selbstmord begangen oder wurde er doch gestoßen?
Und wenn ja, von wem?
Und was haben die Gerüchte über eine angebliche Verstümmelung der Leiche damit zu tun?
Und die medizinischen Fachbücher, die der Tote kurz vor seinem Ableben gelesen hat?
Fragen über Fragen türmen sich auf und eine plausible Antwort scheint nicht in Sicht. Die Lösung der Polizei weist so viele Lücken auf, dass schnell klar ist, so kann es nicht gewesen sein.
Der Rechtsanwalt, Mr. Wedderburn, dagegen ist schon ein anderes Kaliber: Seine Theorie überzeugt nicht nur die Geschworenen, sondern auch die Polizei, nur Inspector Appleby von Scotland Yard nicht, der eine ganz andere Spur verfolgt.
Aber auch er hat nicht der Weisheit letzter Schluss gefunden, sondern nur ein Puzzleteil auf dem Weg dahin. Die vollständige Aufklärung bleibt einem anderen überlassen, dessen Name hier nicht verraten werden soll.
Das Schöne an diesem wirklich vertrackten Kriminalroman ist - was sich allerdings erst im Nachhinein herausstellt - , dass nicht nur alle Lösungen - bei dem damaligen Wissenstand - absolut plausibel und logisch sind, sondern dass sich jede auch "völlig natürlich aus der vorangehenden entwickelt" (Nicholas Blake).
Ein wirkliches Glanzstück britischer Kriminalliteratur, für jeden empfehlenswert, nicht nur für jene Krimiliebhaber, die es leid sind, den Mörder immer schon im Voraus zu erraten und sich stattdessen mal wieder die Zähne an einem wirklich kniffligen Fall ausbeißen wollen.

Kathrin Hanik