Das Buch direkt bei Amazon bestellen Milena Moser
Bananenfüße

Blessing gebunden
ISBN 3-89667-097-2

"Bananenfüße" (d.h. das unbehagliche Gefühl, dass irgendetwas ganz und gar nicht so ist, wie es sein soll - eben so, wie es sich einstellt, wenn man als Kind den rechten Schuh an den linken Fuß zieht und umgekehrt) bekommt man leicht, wenn man von der Schweiz nach Amerika zieht und sich in San Francisco zurechtfinden muss - doch vieles lässt sich mit der gehörigen Portion Verrücktheit ausgleichen, wie die Helden dieser Geschichte beweisen.
Der ehemalige Öko-Architekt Frank steht mit Gott auf Du und Du und verbreitet dessen Gedanken gerne im Internet.
Seine junge Frau Lily, eine magere Fastdreißigerin, ist ihm bedingungslos verfallen, seit sie vor Jahren als Kindermädchen zur Familie kam.
Franks Sohn, der zehnjährige Leo, der eigentlich gar nicht nach Amerika wollte, entpuppt sich schon vom ersten Tag an als überaus talentierter "Neu-Amerikaner". Ob es um das korrekte Bestellen von Essen geht ("Ich nehme dies, aber ohne das, dafür bitte extra jenes und das Ganze ohne Salatblatt"), um coole Kontakte mit den Surfern unter der Golden Gate Bridge oder ums rasante Skateboardfahren auf der Strandpromenade: Leo ist zur Eroberung der aufregenden Neuen Welt bestens gerüstet.
Und für den Fall von kleinen Wissenslücken gibt es zum Glück noch Alice aus dem obersten Stock, ein Mädchen mit orangeroten Haaren, einer großen Klappe und dem Herzen am richtigen Fleck.
Doch Leo hat nicht nur auf Erden eine Freundin. Immer bei ihm ist Stella, seine Mutter, die vor sieben Jahren gestorben, aber als Geist bei der Familie geblieben ist. Selbst die weite Reise nach San Francisco hat sie, zusammen mit ihrer Schweizer Geisterfreundin Betty, angetreten, um Leo zu beschützen und der Familie ab und zu auf die Sprünge zu helfen. Und wie sich zeigt, hat diese es auch bitter nötig, denn langsam gerät die glänzende Fassade ins Bröckeln.
Frank lässt sich fast gar nicht mehr zu Hause blicken. Schuld daran ist vor allem sein neues Hobby: Seit Gott ihm in einer Texmex-Bar zugeflüstert hat, dass er (Gott) die Surfer kenne und sie ihn, verbringt er jede freie Minute bei den windzerzausten Recken am Ocean Beach und predigt ihnen das Wort des Herrn.
Und auch mit seiner Arbeit, die ihn angeblich so stark in Anspruch nimmt, scheint etwas nicht zu stimmen: Statt in einem Büro arbeitet er (mit eingestöpseltem Laptop) im "Dog in the Fog Diner", dessen Kellnerinnen für ein kleines Trinkgeld ab und zu auch die Anrufe seiner Frau abwehren.
Doch Lily hat selbst genug Sorgen mit ihrer Arbeit im Kindergarten, vor allem, als ein schlimmer Verdacht auf sie fällt.
Und dann ist da auch noch die Geschichte mit Stellas Tod, der immer noch nicht geklärt ist ...

Rezension:
Ob das, was hier ebenso luftig-ironisch wie bestechend intensiv und immer ungemein treffend daherkommt, nun ein Krimi ist, ein Jugendbuch oder vielleicht doch ein Gesellschaftsroman - da möchte sich die Autorin selbst gar nicht festlegen und muss es auch gar nicht.
Denn welcher Kategorie man ein Buch zuordnen kann, ist herzlich gleichgültig, solange das Buch selbst gut ist.
Und dieses hier erfüllt diese Bedingung allemal, denn es ist verdammt gut.
Natürlich ist sie ziemlich abstrus, diese Geschichte, die aus drei unterschiedlichen Perspektiven erzählt wird. Da hätten wir einmal Leo, den Zehnjährigen (der laut Milena Moser eigentlich die Hauptfigur hätte sein sollen, bis sich während des Schreibens die beiden Damen so nachhaltig zu Wort meldeten, dass sie automatisch ebenfalls aktiv in die Handlung eingebunden werden mussten), dann seine Mutter Stella - die zwar de facto bereits verstorben ist, was aber noch lange nicht bedeutet, dass sie sich nicht in anderer Leute Angelegenheiten einmischt und natürlich Lily, die "Zweitfrau", die in Amerika mit weit mehr Problemen zu kämpfen hat, als die doch etwas komplizierte familiäre Situation vermuten lassen würde.
Vor allem enthält der Roman - hinter seiner Fassade aus schrillen Skurrilitäten und bitterbösen Bonmots eine geballte Ladung gar nicht so leichter Themen, von denen echte und vorgetäuschte Schwangerschaften, verlorene und wiedergefundene Väter, Alkoholsucht und Drogen nicht die schlimmsten sind. Denn irgendwann geht es um Missbrauch und Mord und man möchte weinen, bei der Vorstellung, wer da was wem warum angetan hat.
Aber genau hier zeigt sich der Unterschied zwischen einem echten "Moser" Roman und Betroffenheitsliteratur bzw. dem Schwimmen auf dem Mainstream; denn - ganz ehrlich - muss man sich heute nicht manchmal fragen, ob es tatsächlich an einer Ent-Tabuisierung der Themen "Kinderpornografie und Kindesmissbrauch" liegt, dass wir sie in jedem zweiten Krimi serviert bekommen, und sei er nur in Kurzform als Beitrag einer Anthologie erschienen? Oder vielleicht doch daran, dass gerade diese Themen sich derzeit einer gewissen "Beliebtheit" erfreuen aufgrund ihrer traurigen Aktualität?
Aber dort, wo andere den Leser verstört und angewidert zurücklassen, gelingt es der Schweizerin, selbst einem solch schweren Stoff eine Dimension zu geben, die so tragfähig ist, dass sie bei allem Ernst, den das Schreckliche verdient, gleichzeitig auch komische Situationen erfassen kann.
Dies ist keineswegs unbotmässig oder oberflächlich, sondern bildet noch am ehesten den paradoxen Alltag des "echten Lebens" ab, bei dem Weinen und Lachen - und sei es mit einer ordentlichen Portion Galgenhumor - so nahe beisammen liegen.
Und vielleicht ist das die einzige Weise, um nachdrücklich im Gedächtnis des Lesers verankert zu bleiben, der nur zu gerne dazu neigt, das. was ihn zutiefst und nachhaltig erschüttert, nach kurzer Zeit zu verdrängen.
Trotz und alledem überwiegt die heitere Note in "Bananenfüße" (ein original Schweizer Ausdruck übrigens, der nach wie vor in Kindergärten verwendet wird); jene wundervoll witzig-ironische Sicht der Dinge, mit der Milena Moser auf ihre charakteristische Weise Situationen karikiert, wie sie jeder von uns nur zu genüge kennt.
Schon deswegen lohnt sich die Lektüre - und sei es nur, um bei passender Gelegenheit mit einem der besten Zitate aus dem Buch zu glänzen:
"Die Ehe ist gar nicht so kompliziert. Unter gewissen Bedingungen. Wenn zum Beispiel einer von beiden tot ist und der andere im Irrenhaus."

Miss Sophie