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Der Fall Arbogast

Dumont gebunden
ISBN 3-7701-5621-8

"Wir haben uns geliebt, und dann war sie plötzlich tot. Das ist die Wahrheit."

Der Fall Arbogast: Lustmord?
Das Schwurgerichtsurteil folgt dem Plädoyer des Oberstaatsanwalts: Lebenslanges Zuchthaus für einen "Lustmörder".
Und nur Hans Arbogast weiß, was am ersten September 1953 wirklich geschah - am Abend jenes Spätsommertags, als die junge Anhalterin Marie Gurth zu ihm in sein Borgward Coupé stieg.
Schuldig oder unschuldig?
Der Fall Arbogast ist die Geschichte einer leidenschaftlichen Begegnung und lässt in eindringlichen Szenen einen beunruhigenden Kriminalfall wieder lebendig werden.
Ein Stück deutscher Justiz- und Nachkriegsgeschichte aus den Jahren 1953 bis 1969, zwischen Schwarzwald und Tessin, Frankfurt und Ostberlin.
Thomas Hettches berührender Roman erzählt von Liebesgeschichten, deren Kehrseite der Tod ist, von einem Vertreter für Billardtische, dem das Zuchthaus in vierzehn Jahren zur zweiten Haut wird, von Publizisten, Anwälten und von einer Gerichtsmedizinerin aus der DDR - von Menschen, die sich alle in den Fall Arbogast verstricken, in die bleibende Frage nach Unschuld oder Schuld.
Der Fall Arbogast ist der lang erwartete Roman des Erzählers und Essayisten Thomas Hettche, der sich durch gewagte Stoffwahl und seine sinnliche Sprache einen Namen gemacht hat.

Rezension:
Mit allen Sinnen ist man gleich mitten drin in der Liebesgeschichte in den 50er Jahren, die die ersten achteinhalb Seiten dauert und mit dem Tod endet.
Das zweite Kapitel - nicht weniger sinnlich - spielt in der Pathologie. Der Körper der Toten wird vom Gerichtsmediziner genauer betrachtet als Hans Arbogast es beim Liebesspiel konnte und in den Jahren im Zuchthaus in seinen Gedanken je können wird.
Obwohl man ab Kapitel drei alles weiß, oder zu wissen glaubt, muss man weiterlesen.
Das ist das Magische an Büchern: Während wir einige Abende genüsslich mit der Geschichte verbringen, musste der "echte" Arbogast fast zwei Jahrzehnte hinter Gittern verbringen.
Spannender kann man nicht mehr schreiben, während sich Arbogast in seiner Zelle den Tod der Geliebten wieder und wieder vorstellt, um darin seine Schuld zu finden, denn er hält sich für unschuldig, brodelt es "draußen" und eine DDR-Pathologin setzt sich für Arbogast ein, kommt ihm nahe, näher... mehr darf nicht verraten werden.
Ein ganz besonderes Buch für Sprachliebhaber, die überdrüssig der vielen Nullachtfünfzehn-Krimis, literarisch und zeitgeschichtlich unterhalten werden wollen.
Ein Geschenk auch für Papierfetischisten: Der Schutzumschlag kann als Poster aufgeklappt werden.

K. Ara

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Die Vertreter der reinen Lehre haben natürlich zu Recht darauf hingewiesen, dass "Der Fall Arbogast" gar kein Kriminalroman ist, wie er sich im Untertitel nennt, sondern ein Justizroman. Aber vielleicht ist das Buch auch ein Zeitroman aus dem Nachkriegsdeutschland das nur eine Kriminal- pardon: Justizgeschichte als plot verwendet. Oder es ist eine auszeichnete Romanreportage über einen Kriminal- und Justizfall, ein Genre, das im angelsächsischen Raum True Crime genannt wird und bei uns kaum existiert.
Wie auch immer oder was auch immer: es ist eine ausgezeichnete Geschichte in einem ausgezeichneten Buch. Die Vorlage lieferte der Fall Hans Hetzel, die Geschichte eines Mannes, der in Verdacht geriet, eine Anhalterin getötet zu haben.
Das Gericht sah - besonders nach einem rechtsmedizinischen Gutachten - keine Zweifel und verurteilte den Angeklagten. Erst 14 Jahre später wurde der Spruch revidiert.
Thomas Hettche löst sich behutsam von dem realen Fall - aus Hetzel wird Arbogast, und auch die anderen Personen sind behutsam fiktionalisiert, um größere Freiheit zu gewinnen für sein Thema: wie das Wiederaufbau- und Wirtschaftswunderdeutschland die Kriegswunden behandelt.
Arbogast, der unauffällige Vertreter für amerikanische Billardtische war Soldat, hat gekämpft und getötet. Und die Art, wie sich sein Schäferstündchen mit der Anhalterin gestaltet, macht deutlich, dass Gewalt zu seinem Leben gehört. So einen Mann wegzuschließen wie man einen Alptraum nach dem Aufwachen zu verdrängen versucht, passt in die Zeit. Da sieht der gutachtende Rechtsmediziner nur das, was er gerne sehen möchte und das Gericht folgt seiner Sicht nur allzu gern. Die Zweifler - Anwälte, Journalisten, Menschenrechtler - sind in diesen Jahren noch in der Minderheit, und es braucht lange, bis sie das System dazu bewegen können, sich noch einmal mit dem Fall zu beschäftigen. Bis das System wieder in der Lage ist, sich auch selbst in Frage zu stellen.
Das alles verdichtet Thomas Hettche in plot und Sprache: unaufgeregt, präzise und niemals in die genretypischen Effekte des Justizromans verfallend, sondern klar, konsequent und überzeugend.
Hettche erzählt seine Geschichte ernst und ernsthaft: einfach ehrlich. Das nimmt spontan für das Buch ein und es fesselt, je weiter man liest - egal, ob man nun die Hintergründe des realen Falles kennt oder nicht.

Reinhard Jahn