Das Buch direkt bei Amazon bestellen Eugenia Parry
Crime Album Stories

Scalo gebunden
ISBN 3-89425-235-9

Crime Album Stories basiert auf einem historischen Album mit Polizeifotografien von Alphonse Bertillon, das Eugenia Parry in einem Pariser Antiquitätenladen gefunden hat.
Die 25 Kapitel im vorliegenden Buch setzen sich mit zum Teil haarsträubenden Mordfällen in Paris zwischen 1886 und 1902 auseinander.
Parry arbeitet dabei nicht nur die Fakten akribisch auf und beschreibt, wie und unter welchen Umständen die Morde geschehen sind. Bewusst oszillierend zwischen Tatsachen und Fiktion geht sie auch der Frage nach den Hintergründen und der Motivation der Täter nach.
Alphonse Bertillon war Ende des 19. Jahrhunderts unter anderem Polizeifotograf und gilt als ein Pionier der Kriminologie; sein effizientes Identifikations- und Ablagesystem, genannt Anthropometrie oder Bertillonage, wurde später international von zahlreichen Polizeidepartementen übernommen.
Die Beschreibungen der Morde basieren auf Aufzeichnungen des damaligen Chefermittlers der Pariser Polizei, Armand Cochefert, der in den meisten der beschriebenen Fällen selbst ermittelte.

Rezension:
Was war das Faszinierende an den Moritaten der Bänkelsänger, so dass bald sogar die Spatzen Geschichten wie die von "Sabinchen war ein Frauenzimmer" landauf, landab von den Dächern pfeifen konnten?
Warum sind noch heute die Berichte aus den Archiven der Gerichtsmedizin, wie sie etwa von Hans Pfeiffer zu Papier gebracht wurden, bei den Lesern so beliebt?
Ganz einfach: Weil diese (echten) Begebenheiten in der Gestalt von Märchen für Erwachsene daherkommen.
Sie sind meist nicht übermäßig lang, genau so detailliert, dass es dem Leser einen Schauer über den Rücken jagt, bei all ihrer Brutalität aber zeitlich (und teilweise räumlich) gerade so weit weg, um den Hauch des Unwirklichen aufrecht zu erhalten. Auch ganz wichtig: der Missetäter wird (fast) jedesmal zur Strecke gebracht und bestraft.
Nicht anders verhält es sich mit diesem ungewöhnlichen Buch, das jedoch um eine Dimension erweitert wurde, die es aus der Masse heraus hebt. Es steckt voller Fotografien, von der Autorin per Zufall bei einem Pariser Antiquar, einer Flohmarktbekanntschaft, gefunden.
Das Interessante an der Geschichte: Eugenia Perry kauft das Album nicht, sondern sieht es sich nur jedes Mal, wenn sie sich in Paris aufhält, bei den Besitzern - und später auch leihweise im Hotel - an. Fünfundzwanzig Jahre lang.
Die Abbildungen sind nichts für schwache Nerven: durchschnittene Kehlen, aufgebahrte Leichen, verwüstete Zimmer, trostlose Häuser und Höfe, die von der Armseligkeit ihrer Besitzer künden ... und dazwischen immer wieder jene Fotos, die Alphonse Bertillon so berühmt gemacht haben.
Dieser Verwaltungsangestellte der Polizeipräfektur war es nämlich, der das allererste System zum Führen einer Verbrecherkartei ersann, indem er die Täter alle auf die gleiche Weise vermaß (Körpergröße; Länge der ausgestreckten Arme; Rumpflänge; Länge und Breite von Kopf und rechtem Ohr; Länge des linken Fußes; Abstand zwischen linkem Ellbogen und Mittelfinger; und Länge des Mittelfingers) und beim selben Licht fotografierte (von vorn und im Profil).
Später wurde der Erfinder der Anthropometrie auch häufig eingesetzt, um Tatortfotos zu schießen - auch diese befinden sich in dem vorliegenden Bildband.
Die gut zwei Dutzend Fälle, um die es geht, sind sehr unterschiedlich beschrieben. Mal wird die Tat aus der Sicht der Ermittlungsbeamten geschildert (z.B. "Niemande"), dann wendet sich ein des Mordes verurteilter Ich-Erzähler per Brief an seine Verwandten ("Kopfstück"), oder ein Bediensteter der Anatomie plaudert aus dem Nähkästchen ("Großer, rosiger Knabe").
Natürlich sind die Gedanken, von denen Täter und Opfer bewegt werden, eine reine Erfindung der Autorin. Die sie allerdings geschickt mit schriftlichen Unterlagen (wie etwa Briefen) aus dem Polizeiarchiv unterfüttert, was dem Ganzen ein Flair von "so könnte es gewesen sein" verleiht.
Alles in allem handelt es sich bei "Crime Album Stories" um eine aufwendig gestaltete Mischung aus Zeitgeschichte und Fiktion. Allein schon die Schilderungen der Lebensumstände in den Städten und auf dem Land am Ende des 19. Jahrhunderts, der Ablauf der Gerichtsprozesse oder der beschriebene Sensations-Tourismus (Hunderte, die sich in Mietkutschen zum Schauplatz eines Verbrechens begeben - "Fett und Asche"-, weil "Le Petit Journal" dasselbe in speziellen Farbbeilagen mittels Illustrationen so dramatisch geschildert haben) machen die 319 Seiten zu einer höchst interessanten Lektüre nicht nur für die Anhänger von "True Crime".

Miss Sophie