Das Buch direkt bei Amazon bestellen Lee Martin
Der Tag als Dusty starb

Original: The Day That Dusty Died
(9. Band Deb Ralston)
DuMont TB
ISBN 3-8321-6702-1

Deb Ralstons persönlichster und verstörendster Fall um sexuellen Missbrauch führt die Polizistin zurück in ihre eigene Kindheit.

Ich rannte an dem uniformierten Kollegen vorbei, der noch immer in sein Funkgerät schrie, vorbei an einer gutgekleideten, aschfahlen Frau, die mit dem Rücken an der Wand lehnte und die Knöchel der linken Hand in den Mund presste, vorbei an einem kleinen Mädchen in Pink, das allein in einem Flur stand, und drückte gegen die geschlossene Schlafzimmertür, mit einem Arm über dem Kopf eines anderen Polizisten hinweg, der versuchte, das Schloss mit einer Nagelfeile zu knacken.
"Machen Sie Platz", sagte ich, und er tat es. Sekunden später, als die Tür nach ein wenig Fummelei mit der Klinge meines Taschenmessers aufsprang, sah ich die hübschen, weiß bestickten Organdy-Vorhänge sacht in der Brise wehen, die durch das offene Fenster drang.
Aber Dusty saß nicht mehr auf dem Sims.

Rezension:
Lee Martins neunter Krimi in der Deb-Ralston-Serie griff 1993 ein auch heute noch brisantes und leider oft totgeschwiegenes Thema auf: den sexuellen Missbrauch an Kindern.
Als Deb Ralston am Einsatzort eintrifft, ist die 16-jährige Dusty Miller schon aus dem Fenster gesprungen. Obwohl vordergründig keinerlei Motive zu erkennen sind, wollen sowohl die Eltern als auch Debs Chef, dass sie den Todesfall ad acta legt.
Doch Deb ist nicht damit einverstanden, denn Dusty war beliebt und erfolgreich, hatte keinerlei Probleme in der Schule oder zu Hause, war auch nicht drogenabhängig oder schwanger.
Was bringt also einen derart mustergültigen Teenager dazu Selbstmord zu begehen? Und Deb vermutet zu Recht Risse in der Familienfassade, die durch ein Gespräch mit Dustys älterer und in der Familie totgeschwiegenen Schwester Sandy nur bestätigt werden.
Ihre Versetzung als Schwangerschaftsvertretung in die Abteilung für Sexualdelikte, die Fieberträume nach der schmerzhaften Fersenoperation und das unerwartete Auftauchen von Debs kleiner Schwester Rhonda bringen schmerzhafte Erinnerungen an Debs eigene Kindheit wieder hoch.
Denn auch Deb und ihre Schwester waren die Opfer eines sexuellen Missbrauchs durch ihren Vater, eine Erfahrung die sie mit jeder vierten Amerikanerin und jedem siebten Amerikaner teilen mussten! Und trotz dieser erschreckenden Bilanz gibt es immer noch Menschen, die sexuellen Missbrauch für ein Hirngespinst der Betroffenen halten!
Man merkt jeder Zeile an, wie wichtig es der Autorin, die mit diesem Buch auch ihre eigene Erfahrungen verarbeitet hat, ist, dem Leser deutlich zu machen, dass sexueller Missbrauch ein Verbrechen ist und es dafür keine Entschuldigung gibt.
Ein beeindruckendes Buch, das betroffen macht. Ein Buch, dass zur Pflichtlektüre für alle diejenigen gehören sollte, die von Berufs wegen mit Opfern eines sexuellen Missbrauchs zu tun haben.

Kathrin Hanik