Das Buch direkt bei Amazon bestellen Philip Ardagh
Schlimmes Ende

Original: Awful End
Omnibus gebunden
ISBN: 3-570-12701-X
(Kinder ab 10)

Eddies Eltern leiden an einer seltsamen Krankheit. Ganz gelb sind sie, dazu wellig an den Rändern, außerdem stinken sie nach alten Wärmflaschen.
Dr Keks' Behandlung sieht Bettdecken aus braunen Papiertüten vor sowie das Lutschen von Zwiebeln und Eiswürfeln in Form berühmter Generäle.
Damit Eddie sich nicht ansteckt, wird er zu Verwandten geschickt. Pech für Eddie, dass es sich dabei um seinen Wahnsinnigen Onkel Jack und seine Wahnsinnige Tante Maud handelt.
Und dass ihr Haus "Schlimmes Ende" heißt ...

Ausgezeichnet mit dem LUCHS des Jahres 2002

Rezension:
Auf seinem Autorenbild hat er ein bißchen Ähnlichkeit mit Harry Rowohlt, dem Mann, der das vorliegende genial-wahnsinnige Buch ins Deutsche übertrug und zwar (wie uns der Verlag wissen lässt) mit dem Kommentar "Von den 108 Büchern, die ich bislang übersetzt habe, ist dies eines der besten."
Die Rede ist von dem mehr als zwei Meter großen Philip Ardagh, der für den vorliegenden Roman von der Jury von DIE ZEIT und Radio Bremen mit dem Luchs 2002 ausgezeichnet wurde - womit wieder einmal bewiesen wäre, dass gut gemachte Kinderbücher auch bei den Lesern jenseits der 1,20 Meter-Marke ihre Fans finden.
Und es würde wohl keinen wundern, wenn - wie weiland bei den Harry-Potter-Büchern - demnächst eine "Erwachsenen-Edition" auf den Markt käme. Obschon es ausnehmend schade wäre um das Cover von David Roberts (der auch für die wunderbaren Illustrationen IM Buch verantwortlich zeichnet), das auf selten präzise Weise das Wesen dieses hervorragenden Jugendbuches erfaßt hat: Der Wahnsinnige Onkel Jack, ein säuferrot-nasiger Lulatsch, greift mit knochigen Fingern nach dem armen Helden, dessen Blick zwischen Angst und Verwunderung schwankt, während im Hintergrund die Wahnsinnige Tante Maud mit ihrem ausgestopften Wiesel (von dem bis zum Schluß nicht klar ist, ob es nun Malcolm oder Sally heißt, was aber eigentlich auch egal ist) droht.
Kleine und große lieben sie, diese Geschichten, in denen arme (Waisen-) Kinder vom Schicksal gebeutelt in die Hände merkwürdiger Anverwandter geraten und/oder sonderbare Zeitgenossen treffen (man denke in diesem Zusammenhang nur an die hochgelobte amerikanische Serie "Die schaurige Geschichte von Violet, Sunny und Klaus" von Lemony Snicket).
Und diesbezüglich kommt der Leser in den 11 Folgen (nicht Kapitel - hatte der Autor doch nach eigenem Bekunden die ganze Story als Fortsetzungsgeschichte zu seinem Neffen ins Internat geschickt) dieses Buches in seiner viktorianischen Kulisse so richtig auf ihre Kosten.
Da wimmelt es von durchgeknallten Zeitgenossen mit absonderlichen Angewohnheiten - wovon die des guten Onkels, seine Zeche im Ausspann "Zum Ausspann" nur mit Trockenfisch zu bezahlen oder die der Frau Theaterdirektor Mrs. Pumblesnook, ihre Haut in Fetzen abzupolken und sie in eine spezielle Tasche vorn an ihren Kleidern zu stecken, nur die Spitze des Eisberges sind.
Die siechen und (wir erinnern uns) schon ganz gelben und welligen Eltern des Protagonisten vertreiben sich ihre Zeit vorzugsweise mit Arm drücken, Schwert fechten und Haie fischen. Zimmermädchen, die durch die Prüfung gefallen sind, leben in einem Schrank unter der Treppe (ein Schelm, dem jetzt sofort Harry Potter einfällt). Pferde schlafen in Gastzimmern oder erhalten - falls sie doch im Stall nächtigen müssen - eine Auswahl erlesener Weine.
Durch das Gewirr all dieser außerordentlich skurrilen Personen und Situationen zieht sich der rote Faden einer Handlung, die sich in wenigen Sätzen erzählen läßt: Eddies Vater und Mutter leiden an einer mysteriösen Krankheit und damit er sich nicht ansteckt, wird er in die Obhut seines Großonkels und dessen Gattin gegeben. Auf der Reise zum Familiensitz der beiden landet er durch eine Verwechslung in einem Waisenhaus, aus dem der clevere Junge aber zum Glück entfliehen kann - nicht ohne die anderen Zöglinge zu befreien - um am Ende wieder mit seinen, wie durch ein Wunder genesenen Eltern vereint zu sein.
Doch was so simpel klingt, ist, nicht zuletzt durch die hinreißend aberwitzigen inhaltlichen Schnörkel, sprachlichen Kapriolen (meisterhaft von Rowohlt ins Deutsche übertragen) und Exkurse in diese oder jene Materie (von der kleinen Revolverkunde bis zur Wächterfunktion von Gänsen), fesselnd spannend, brüllend komisch und so faszinierend, dass kein Einhalten möglich ist, bis auch die letzte Zeile verschlungen wurde.
Da muss der Rezensent sich schon sehr zurückhalten, um seine lobenden Worte nicht länger werden zu lassen als es das Werk selbst mit seinen 126 Seiten ist - zu viele köstliche Details laden dazu ein, zitiert zu werden - und das nicht etwa nur der Hausbrand zur Halbzeit.
Aber genug der vielen Worte, die doch den Inhalten nur ansatzweise gerecht werden können: Diese Geschichte MUSS man selbst gelesen haben. Oder aber - ganz besonders in Anbetracht der vielen sprachlichen Eigenarten die den unterschiedlichen Figuren anhaften - man läßt sie sich vorlesen. Von einem Profi. Nämlich the one and only Harry Rowohlt. Denn wer besser als der Übersetzer könnte auch die kleinste Nuance des Originals einfangen und an die Zuhörer weitergeben?

Miss Sophie