Das Buch direkt bei Amazon bestellen Carlo Lucarelli
Die schwarze Insel

Original: L'isola dell'angelo caduto
Piper gebunden
ISBN 3-492-04505-7

Glänzend schwarz fließen Himmel und Erde ineinander, als der junge Commissario und seine Frau die Insel betreten.
Es ist 1925, Mussolini hat soeben die Macht übernommen.
Und auch hier, auf diesem unheilvollen Felsen des Nebels und der Schatten, scheint ein Schwarzhemd alle Fäden in der Hand zu halten: Mazzarino, der Leutnant der Miliz, der sein undurchschaubares Spiel mit dem unerfahrenen Mann zu spielen beginnt.
Doch während der Commissario sich und seine Frau noch vor den diabolischen Kräften der Insel zu bewahren sucht, stirbt einer von Mazzarinos Getreuen. Wer würde es wagen, einen solchen Mord zu begehen?
Bevor der Commissario seine Ermittlungen aufnehmen kann, geschieht der zweite Mord: Diesmal ist das Opfer Zecchino, der Informant des Commissario ...
Fünf Tage bläst der klebrige Wind des Scirocco über die schwarze Insel, fünf Tage, in denen der Commissario ihr Geheimnis zu lüften versucht.

Rezension:
Immer wieder anders, immer wieder neu, die Protagonisten, die der "Shooting Star" der italienischen Krimiszene seit 1990 ins Feld schickt.
Zum legendären Commissario De Luca, der dem Polizeiroman eine starke politische Dimension verlieh, dem flippigen Sovrintendente Coliandro und der starken Frauenfigur der Fahnderin Grazia gesellt sich nun ein namenloser und wohl auch nicht serienverdächtiger Commissario.
Wohlgemerkt: Die Tatsache, dass es wohl keine weiteren Bände mit diesem jungen Absolventen der juristischen Fakultät geben wird, dessen Vorväter allesamt die Position eines Präfekts bekleideten und der den Posten als Kommissar nur als Sprungbrett für eine ebensolche Karriere nutzen wollte, liegt nicht in seinen literarischen Qualitäten oder gar der Tragfähigkeit der Figur als solcher begründet.
Nein, es ist vielmehr die Tatsache, dass der Leser am Ende das Gefühl hat, den ungemein vielschichtigen Protagonisten bereits in all seinen Facetten erlebt zu haben, so dass ein Weiterführen der Geschichte um diese Person undenkbar erscheint.
Es ist die Fülle der starken Emotionen, die den Leser schier überwältigen möchte, wenn er sich gemeinsam mit dem Commissario auf die Suche nach dem Schuldigen an den ersten gewaltsamen Morden auf der kleinen Insel macht, seit der Ankunft des Commissario gut zwei Jahre zuvor.
Die Insel ist das, was man eine Sträflingskolonie nennen würde - besiedelt von politischen und anderen Gefangenen, die sich zwar tagsüber frei bewegen können, des abends aber wieder in die strenge Obhut der Miliz begeben müssen, um in großen Gemeinschaftsschlafsälen für die Nacht weggeschlossen zu werden.
Doch nicht nur für diese (echten oder vermeintlichen) Verbrecher ist die Insel zur Falle geworden - auch die meisten anderen Bewohner, egal ob Angehörige des Militärs oder Zivilisten, fühlen sich gefangen.
Gekonnt stellt Lucarelli sie einen nach dem anderen vor: Die Frau des Federale, die Tochter des Apothekers, die Gattin des Engländers und nicht zu vergessen Hana, die junge Angetraute des Commissars selbst, die das Haus nicht mehr verläßt, sondern stattdessen Dauerselbstgespräche führt und immer und immer wieder dieselbe Platte hört.
Miniaturen von Menschen - allesamt höchst traumatisiert - reihen sich aneinander. Viele der Protagonisten tragen nicht einmal einen Namen sondern sind allein durch ihre Funktion oder Position gekennzeichnet. Und alle haben sie Geheimnisse, die es zu bewahren gilt.
Während der Commissario einer Spur nach der andere nachgeht - ständig bewacht und behindert vom düsteren Leutnant der Miliz mit seinen rohen und gemeinen Untergebenen - wird die Stimmung immer düsterer, die Situation immer verfahrener.
Und da wo am Ende durch die Aufklärung der diversen Todesfälle ein Lichtstreif am Horizont erscheint, macht Lucarelli mit einem Handstreich alles wieder zunichte, läßt seine Helden und den Leser hilf- und hoffnungslos zurück.
Ein bedrückender Roman und doch ungemein lesenswert; selbst wenn dies die einzige Ermittlung des "Commissario" bleiben sollte. Doch, wer weiß das heute schon, vielleicht kommt er ja eines Tages noch einmal zum Einsatz. Wie Lucarelli selbst im Interview sagt: "Ich erfinde immer dann einen neuen Charakter, wenn ich eine neue Idee habe ... Manchmal ähneln sich die Ideen und dann kann ich einen Helden, den es schon gibt, von neuem in Aktion treten lassen..."

Miss Sophie