Das Buch direkt bei Amazon bestellen Sandra Lüpkes
Fischer, wie tief ist das Wasser

Ein Küsten-Krimi
rororo TB
ISBN 3-499-23416-5

Die Kinder bei der Stiftung "Liekedeler" in Norden scheinen von der Einrichtung begeistert zu sein: Sie lernen dort spannende Dinge und können herumtoben.
Das ändert sich, als die junge Klavierspielerin Jolanda stirbt und die auch an der Küste aufgewachsene Okka Leverenz sich Sorgen um die Gesundheit der Schützlinge macht.
Um jeden Preis will sie die Kinder schützen, vor den dunklen Machenschaften der Stiftung und vor dem Ehrgeiz einiger Eltern. Dabei setzt sie ihr eigenes Leben aufs Spiel …

Rezension:
Kinder, Kinder! Die zappeln herum, haben keine Lust zu lernen, kicken womöglich Fußbälle in Fensterscheiben.
Wie schön wäre es, brave, wissbegierige Kinder zu haben. Vom Zappelphilipp zum Musterknaben. Dank neurologischer Psychopharmaka eine durchaus denkbare Alternative. Morgens eine Pille und bis zum Abend haben gestresste Eltern dann Ruh.
Und nicht nur das: Welche Eltern wünschen sich nicht gut aussehende intelligente Kinder, die all das erreichen sollen, was man selber vielleicht nicht geschafft hat? Also noch eine bessere Alternative: vom Looser zum Genie. Per Pillenhilfe.
Das hört sich ein wenig übertrieben an? Nun, vielleicht ein wenig. Aber ein Kern Wahrheit steckt überall. Und in der heutigen Zeit, in der sich Eltern mit Themen von Designerbaby über pränatale Diagnostik bis ADS bestens auskennen (sollten), da ist die Möglichkeit, mit wenig Aufwand intelligente, anständige Kinder zu schaffen, eine durchaus denkbare Alternative. Oder?
Kinder, das sind für die dreißigjährige kinder- und eigentlich auch beziehungslose Okka, Sonnenscheine. Wild und liebenswürdig. Aber die Kinder, die Okka an ihrem neuen Arbeitsplatz kennen lernt, die sind irgendwie anders. Begabt, intelligent, ja, schon, aber auch aggressiv.
Und das passt für Okka nicht zusammen. Bisher lief die unauffällige Frau eher unbedarft und ziellos durch das Leben. Aber das Zusammenwirken von Genen (Papa ist Journalist) und Mitteilungen (Ex-Freund ist Gerichtsmediziner) lassen auch ihre Naivität schwinden. Denn es ist keine reine Menschenfreundlichkeit, aufgrund derer sich eine friesische Stiftung mittelloser Kinder annimmt, um deren Begabungen zu fördern.
Unglückliche Kinder, die um die Liebe der Großen buhlen. Vernachlässigte Kinder, die eine Heimat haben wollen. Dieses grundsätzliche Interesse der Kinder wird auf Drängen und Anregung der Pharma-Industrie genutzt. Die den einseitigen Ehrgeiz der Eltern genauso kennen wie deren damit im Grunde gezeigte Interesselosigkeit.
Das Buch erzählt auf der einen Seite in ich-Form Okkas Geschichte, die neu als PR-Frau bei der aufstrebenden Stiftung anfängt. Auch sie eine Suchende. Nach der passenden Arbeit fürs Leben, nach dem passenden Mann fürs Leben, nach Anerkennung durch ihren eigenen Vater.
Sie ist von den Wissenden und Forschenden der eigentlichen Stiftungs-Drahtzieher aufgrund ihres fehlenden Durchhaltewillens und der Naivität ausgewählt worden, um nach außen ein tadelloses Konzept, das motivierte, engagierte, interessierte und in schulischen Leistungen aufstrebende Kinder hervorbringt, zu verkaufen.
Auf der anderen Seite wird die Sicht eines Kindes auf das Leben als gefördertes Stiftungskind geschildert. Ist es verschlagen und boshaft, das Kind? Oder sehnsüchtig nach Anerkennung und ausgenutzt von von finanziellen Interessen geleiteten Wissenschaftlern? Schon früh öffnet sich dem Leser die ganze Geschichte, die in weiten Zügen durchaus realitätsnah und wenig fiktiv erscheint.
Trotz des traurigen Themas ein leicht zu lesendes Buch, das fesselnde Unterhaltung bietet und mit Sicherheit kritische Eltern anspricht, die wissen, dass eigene Kinder immer anders sind, als man sich das im voraus gedacht hatte. Klar, es sind ja Menschen. Wild und laut und ? ja, eben Kinder. Ein Glück!

Iris Groschek