Das Buch direkt bei Amazon bestellen Anne Chaplet
Die Fotografin

Goldmann TB
ISBN 3-442-45466-2

In Frankfurt hat eine Buchhändlerin Selbstmord begangen, und in Südfrankreich taucht kurz danach die Leiche einer Fotografin auf, neben beiden eine Waffe von äußerst dubioser Herkunft.
Das ist ein Fall für Karen Stark, Staatsanwältin in Frankfurt, auch wenn ihre eigene Behörde sie in Zwangsurlaub schickt: Was muss verborgen werden?

Rezension:
Anne Chaplet Die Fotografin Kunstmann gebunden ISBN 3-8889-7293-3 Frankreich ist schön, das Leben in dem kleinen südfranzösischen Dorf ist schön, so wunderschön, dass man sich schon nach den ersten zehn Seiten wohlig ins warme Mittagslicht kuscheln möchte, das das Örtchen Beaulieu umschmeichelt. Genau das versucht auch Alexa aus Deutschland, reiche Erbin mit tragischer Kindheitsgeschichte, die in dem Örtchen ein altes Haus gekauft hat, das seinen Besitzern immer nur Unglück gebracht hat. Sagt man jedenfalls. Glaubt man, hört man so. Sicher ist nur: Ada Silbermann, letzte Bewohnerin, Fotografin, ist vor einiger Zeit verschwunden, spurlos. Alexa kümmert das nicht groß, sie ist schließlich hier, um sich zu finden, Abstand zu gewinnen zu ihrer Geschichte, die mit dem Tod ihres Vaters beginnt, dem Piloten eines von Terroristen entführten Flugzeugs. Ihre Geschichte ist eine Geschichte aus dem deutschen Herbst, aus der Zeit, in der ein Industriemanager von einem Terrorkommando entführt und ermordet wurde.
Karan Stark in Frankfurt hat davon noch gar keine Ahnung, als man ihr einen Zwangsurlaub von ihrem Job in der Staatsanwaltschaft verordnet. Sie hat nur einen Verdacht: Sie soll sich nicht länger mit dem Fall Reiche befassen, eine Buchhändlerin, die sich selbst umgebracht hat - jedenfalls wenn es nach der Einstellungsverfügung geht, die Karens Ersatzfrau sofort erlässt. Die ermordet wurde, wenn es nach Karens Gefühl geht. Was sich scheinbar bestätigt, als sie sich ein paar weitere Informationen auf dem kleinen Dienstweg besorgt: demnach stammte die Waffe, mit der sich die Buchhändlerin erschoss aus einem Terroristen-Depot das vor einigen Jahren von der Polizei geleert wurde.
Noch weiß Alexa in Frankreich nichts von Karen in Frankfurt, noch haben wir nichts als den vagen Verdacht, dass die Lösung der beiden Geschichten in den Tagen des Deutschen Herbstes liegen muss. Anna Chaplet nährt den Verdacht noch lange, unterfüttert ihn mehr und mehr, bis schließlich Karen Stark und ihre platonischer Freund Paul Bremer nach Südfrankreich aufbrechen, um der Spur einer weiteren Waffe aus dem Waffendepot nachzugehen. Um in Beaulieu prompt in einen Mordfall zu geraten, den Tod eines zugereisten Deutschen, der mehr ist als nur der desillusionierte Öko-Aussteiger, als der er sich gibt. Wegen dieses Mannes ist auch Dorothea von Plato nach Beaulieu gekommen, erfolgreiche Fondsmanagerin mit einer Vergangenheit aus dem Umfeld des bundesdeutschen Terrorismus, die sie lieber nicht so gern in die Öffentlichkeit gezerrt sähe.
Drei Frauen in Südfrankreich, verwickelt in eine Geschichte aus Rache und Gewalt - kunstvoll zusammengewoben zu einem Krimi, der bei diesem Stoff leicht zu einem platten politischen Roman hätte werden können, der uns die Welt erklären will. Aber Anne Chaplet ist eine viel zu gute Erzählerin, um in diese Fallstricke zu geraten. Sie nähert sich der Geschichte über die Menschen, abstrahiert nie vom persönlichen zum gesellschaftlichen, sondern fokussiert sich auf die Innenwelten ihrer Figuren, mit denen wir noch einmal Splitter jener Periode deutsche Nachkriegsgeschichte erleben, in der der Staat Macht demonstrierte, um seine Ohnmacht zu verbergen.
Die Biographien führen aus dieser Zeit bis ins heute, und je mehr wir von den drei Frauen erfahren, von denen Anne Chaplet uns erzählt, desto klarer wird, wie die damaligen Ereignisse uns alle verändert haben. Und da wird’s dann doch wieder gesellschaftlich, aber ohne verengten Blick, sondern im Gegenteil: man sieht auf einmal klarer - genau wie Karen Stark und Paul Bremer, als sie endlich begreifen, welche Beziehungen die Dorothea von Plato, der unbekannte Tote und Alexa miteinander verbinden.

Reinhard Jahn