Das Buch direkt bei Amazon bestellen Ralf Kramp
Ein kaltes Haus

KBV TB
ISBN 3-937001-09-3

Die Stimme am Telefon klingt verzweifelt. Es ist die Stimme eines jungen Mannes, der vor dem Abgrund steht und nicht mehr weiter weiß. Der Anruf erreicht Fried Söntgens zu nachtschlafender Zeit auf der anderen Hälfte der Weltkugel. Der Anrufer ist Michael, der kleine Junge von einst, und Fried hat damals feierlich geschworen, für ihn zu sorgen und ihn zu beschützen.
Als das Gespräch unterbrochen wird, zögert Fried keinen Augenblick und alarmiert die beiden anderen, mit denen er vor vielen Jahren in seiner wilden Jugend die Eifel unsicher gemacht hat: Clara, die in einem Seniorenheim in Regensburg lebt und Gregor, der seine Rente mit winzigen Rollen in Werbespots aufbessert.
Die drei kehren zurück in das kleine Dorf an der Ahr, in dem sie aufgewachsen sind. Doch das alte Hotel am Waldrand, in dem ihr Schützling seine hochfliegenden Pläne verwirklichen wollte, ist verwahrlost. In einem der Badezimmer hat Michael seinem verpfuschten Leben ein Ende gesetzt.
Als die drei sich schwören, heraus zu finden, wer ihn soweit getrieben hat, ahnen sie nicht, was sie damit auslösen.

Rezension:
Der 68jährige Fried ist erfolgreicher Architekt, der in Australien sein Glück gemacht hat. Die ebenso alte Clara lebt nach unglücklicher Ehe nun sehr zufrieden in Regensburg. Einzig Gregor, der dritte im Bunde, ein schwuler Ex-Theaterschauspieler aus Köln, hat mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. Nicht zuletzt hängen sie mit den regelmäßigen finanziellen Zahlungen zusammen, die das Trio seit Jahrzehnten an den Sohn gemeinsamer Freunde leistet, die bei einem aus jugendlichem Leichtsinn verschuldeten Unfall ums Leben kamen.
Eigentlich sollte Michael, der „Junge“, wie sie ihn trotz seiner 40 Jahre nannten, sein gutes Auskommen haben: In einem gut etablierten Hotel, glücklich verheiratet mit einem kleinen Kind.
Alles Lüge. Der Strom ist in dem Haus mit den abgeblätterten Tapeten ausgestellt, die Frau lebt mit Sohn Thommy wieder bei ihrer Mutter und ist mit ihrem Chef, dem Betreiber einer Biker-Kneipe liiert, das Konto ist gähnend leer.
Eigentlich wollen die drei alten Freunde nur noch bis zur Beerdigung in dem abgewrackten Gebäude bleiben – doch dann geschehen merkwürdige Dinge. Zunächst finden sie Beweise, dass jemand in diesem Haus offenbar regelmäßig Post mit einschlägigen Magazinen erhalten hat. Kinderpornos. Dann sieht es so aus, als werde das Haus beschattet. Und schließlich ergeben die Unterhaltung mit unterschiedlichen Menschen am Ort ein sehr gemischtes Bild von jenem Michael ab, den sie doch so gut zu kennen glaubten.
War er wirklich ein Kinderschänder, worauf alle Indizien deuten? Oder kann das Trio seine Unschuld beweisen? Was hat es mit jener ominösen „Feier“ auf sich, von der alle hinter vorgehaltener Hand erzählen? Und was weiß die illegale Asylantin, die sich vor so vielen Dingen fürchtet – nicht zuletzt von den kriminellen Freunden ihres Ex-Schleusers?
Diese alten Leute sind keine rüstigen Sean-Connery-Verschnitte. Wenn sich auch Clara schon einmal beherzt aus einem Fenster schwingt, um einen zwielichtigen Beobachter zu verfolgen, so legen die Drei doch in der Regel ein durchaus altersgemäßes Verhalten an den Tag. Wollen sie rennen, geraten sie aus der Puste. Und kommt einer wie Rudi Diefenthal des Wegs, der schon in jungen Jahren ein Raufbold war, dann können sie den durch die bäuerliche Arbeit gestählten Fäusten des Gleichaltrigen wenig entgegensetzen.
Was die Freunde aber auszeichnet, ist ihre Hartnäckigkeit. Die Erinnerung an die in der Jugend gemeinsam verbrachte Zeit, die in Rückblenden immer wieder lebendig wird, an die damalige Verbundenheit, die macht sie stark. Macht die Jahre der Trennung ungeschehen. Trägt sogar dann noch, als sie beginnen, sich ihre Geheimnisse zu enthüllen und sogar kurzzeitig in Streit geraten. So wie sie an dem abgewirtschafteten Hotel hängen, in dem sie sich für die Dauer ihres Aufenthalts liebevoll einrichten, jenem Haus, in dessen holzgetäfeltem Tanzsaal früher so viel los war und dessen Keller heute noch so manches Versteck bietet, genau so liegt ihnen dieser Michael am Herzen, der so lange das einzige Bindeglied zwischen ihnen war. Sie wollen, sie müssen die Wahrheit erfahren – selbst wenn diese schmerzen und alle Illusionen zunichte machen sollte.
Es gibt Spannung und Action in diesem Roman, zahlreiche falsche Fährten, unheimliche Szenen in dunklen Gängen ohne Licht. Nicht zu vergessen den blutigen Showdown. Aber es gibt auch viele Zwischentöne, sowie die Botschaft, dass echte Freundschaft und Zusammenhalt bis zum Tod nicht an ein Lebensalter gekoppelt ist. Und die machen den Roman so lesenswert.

Miss Sophie