Das Buch direkt bei Amazon bestellen Elke Loewe
Simon der Ziegler

rororo TB
ISBN 3-499-23516-1

Zwei Töchter hat der Ziegeleibesitzer Georg Tomwörden: die kleine Engel mit den schrägen Augen, die einen frühen Tod verkünden, und die hübsche Rieke.
Die soll nun den Nachbarn Julius von Bargen heiraten. Dem Witwer gehört ein schönes Stück Land an der Elbe, auf dem Georg einen großen Ringofen errichten will.
Aber Rieke hat ihr Herz längst verloren - an den Ziegler Simon, das Schlitzohr, Simon mit den grünen Augen und dem roten Haar. Und ein argloses Mädchen kann noch viel mehr verlieren als sein Herz und seine Ehre.

Rezension:
Jedes Jahr von Frühling bis Herbst sind die Ziegler auf Krautsand, einer Insel, kurz vor der Elbmündung in die Nordsee. Doch der romantischen Lage können die Arbeiter keinen Blick abgewinnen. Das Leben der Ziegler ist hart, jeden Tag wird der Ton vom ersten Hahnenschrei bis zur anbrechenden Dunkelheit in die Ziegelformen gedrückt, gehärtet, gebrannt. Der feuchte Ton trocknet auf Holzpantinen und Hosenbeinen. Der Staub der Tonerde setzt sich in die Lungen. Viel freie Zeit bleibt nicht. Aber diese reicht, um die wahre Liebe zu finden.
Anhand eines alten Kalenders aus dem Jahr 1870 und einer ungewöhnlichen noch älteren Kastanie mit Innenleben entwickelt Elke Loewe eine kleine historische Familiensaga zwischen Ziegelei und Elbstrand, zwischen Fachwerkkate und mächtiger Kastanie, zwischen dunklen Torfsoden und karmesinrotem Backstein.
Die Männer, die in der Tomwördenschen Ziegelei eine Saison lang schuften, leben, um zu arbeiten. Sie brauchen Geld für den langen Winter in ihrer Heimat. Dort, wo Frau und Kinder warten.
Simon vom Niederrhein geht erstmals mit Ziegelmeister Bartold in den Norden. Simon ist anders. Er arbeitet auch gut. Und er hat auch Ziele. Aber andere. Simon, ein gewitzter Bursche, der sich nicht so leicht was sagen lässt, will raus.
Will auswandern. Will nach Amerika. Allein. Er hat nicht damit gerechnet, ausgerechnet auf der Kampagne 1870 eine Frau zu finden, die mehr an ihm entdeckt als andere, die ihn besser versteht, und in die er sich verliebt. Denn Rieke ist nicht nur hübsch, sie ist nah genug an Simon und dem Leben dran, versteht, träumt mit. So selten sich die beiden sehen (denn Riekes Vater würde Simon zur Hölle jagen, würde er wissen, dass sich seine Tochter mit ihm trifft), so sehr ist eines aber klar: Sie gehören zusammen. Und da kann auch der Vater nicht verhindern, dass die beiden zusammen weggehen. Oder doch?
Neben viel Alltagsschilderung, bleibt das Kriminalistische lange Zeit außen vor. Wir lernen vielmehr die Männer kennen, alle, die täglich in der Ziegelei arbeiten, leben, zusammenhalten, streiten, Schafe jagen, Zahnschmerzen und Durchfall haben, die feiern und husten und Rohling um Rohling mit der Tonerde füllen. Tag für Tag.
Und wir sehen Rieke, die Tochter, deren Leben erst beginnt, als sie Simon kennen lernt.
Ein dicker, ein lebensnaher Roman, der vom Leben in einer anderen Zeit berichtet, so nachvollziehbar und doch so fern von unserem heutigen Leben. Elke Loewe schafft es erzählend, den Leser eintauchen zu lassen in das Jahr 1870, als in der großen Welt Frankreich zur Republik wurde, der Deutsch-Französische Krieg begann, Heinrich Schliemann Troja entdeckte, Lenin geboren wurde und Charles Dickens starb.
Doch die große weite Welt hat nur wenig Wirkung auf das tägliche Leben auf Krautsand, hier träumt man nur davon. Und dennoch kommen wir näher ran an das Jahr 1870 als in unserem Geschichtsbuch, wir sind bei den Ziegeleiarbeitern, den besitzenden Familien, der Kastanie, die wie jedes Jahr blüht, im Sommer dabei, der eine Familie über Generationen bewegen wird. Wir bekommen weniger einen Krimi als vielmehr einen historischen Roman, der berichtet und Lebenslinien aufzeigt, der den Einfluss der Vergangenheit auf die Gegenwart verdeutlicht und der hofft, dass mit dem Wissen um Vergangenheit die Zukunft gestaltet werden kann.
Die fünfte Familiengeneration soll nun richten, wovon sich Generationen unbewusst haben schubsen lassen. Alle Lebenslinien der Familie führen im Sommer 1870 zusammen. Und wir dürfen lesend erfahren, was damals geschah und welche Minuten die Lebenslinien von Generationen geändert haben.
Die Überlegung eines "Was wäre wenn" ist durchaus einen sinnierenden Gedanken wert.

Iris Groschek