Das Buch direkt bei Amazon bestellen Angela Eßer
Tatort Bayern

grafit TB
ISBN 3-89425-299-5

Mehr als zwanzig Autorinnen und Autoren ziehen eine Blutspur durch Bayern – von wegen weiß-blaue Bierzelt-Seligkeit!
In Altötting droht der Tod, von Bayreuth heißt es einfach lakonisch »Bye-bye«, in Lindau gibt es kein Happy End, in München geht man ungern über Leichen und am Tegernsee sollte man Putzfrauen meiden.
Hinter die Fassade vermeintlicher bayerischer Gemütlichkeit schauen namhafte ›Wiederholungstäter‹ der deutschen Krimiszene:
Nessa Altura, Till Bastian, Michael Böckler, Anne Chaplet, Richard Dübell, Horst Eckert, Angela Eßer, Nina George, Robert Hültner, Harry Luck, Thomas Kastura, Martin Kleen, Klüpfel und Kobr, Rita Knott, Ralf Kramp, Barbara Krohn, Krystyna Kuhn, Andreas Mäckler, Sabina Naber, Eric Ode, Michael Rossié, Frauke Schuster, Sabine Thomas und Christian Ude.

Neugierig geworden? Dann nichts wie hin zu „Tatort Bayern“ im Internet, wo neben ausführlichen Informationen zu den Autoren und Schauplätzen auch ständig aktualisierte Lesungstermine zu finden sind.

Rezension:
Es ist Frühling: die Vöglein zwitschern, die Harleys und BMW-Cabrios verlassen ihre schützenden Garagen, um sich auf der Salzburger Autobahn ein Stelldichein zu geben, auf den Stühlen vor den Promi-Cafés recken sich die frisch Botox-geglätteten Gesichter entweder der Sonne oder einem weiteren „Bussi-Bussi“ entgegen, während ein wenig Latte-Schaum kess die sorgsam modellierte Oberlippe ziert … und du weißt, das ist dein bajuwarisches Zuhause, da bist du sicher!

Aber stimmt das wirklich? Ist dort, wo sie weiland den „Willi derschlong“ haben und es der Weißwurst noch vor dem Mittagsläuten an die Pelle geht, wirklich noch die Welt in Ordnung?

Oder trifft doch eher zu, wie Ottfried Fischer in seinem Vorwort zu „Tatort Bayern“ meint „Das Idyll ist die Mutter aller Verbrechen und Bad Tölz ist überall!“?

Nun, wenn man sich die Beiträge dieser ausgesprochen gelungenen Anthologie so ansieht, dann möchte man meinen, dass dies (manchmal, nur manchmal!) so schlecht vielleicht gar nicht wäre … (angenommen, nur mal angenommen, der „Bulle von Tölz“ läge mit seiner Vermutung richtig).

Denn dann würden Kunstbanausen für ihre unqualifizierten Bemerkungen und unpassendes Benehmen nicht nur in Nürnberg (Nessa Altura) endlich einmal passend abgestraft werden und die Stadtmenschen würden es sich vielleicht zweimal überlegen, bevor sie Kraft ihrer finanziellen Möglichkeiten so einfach Besitz ergreifen, vom Lebensraum und –traum der Einwohner des Speckgürtels, zu dem auch der Tegernsee gehört, wie Sabina Naber eindrucksvoll beschreibt, obschon sie von Haus aus Österreicherin ist.

Allerdings würde möglicherweise ein ganzer Berufszweig – die Gastronomie nämlich – ein paar Einbußen erleiden, hätten Leser und potentielle Restaurantbesucher durch die Beiträge des einen oder anderen den Eindruck, als wäre das Speisen in Landshut (Martin Kleen) oder Landsberg am Lech (Andreas Mäckler) nicht nur auf Grund zu hoher Cholesterinwerte vielleicht nicht ganz ungefährlich. Gut, dass Michael Böckler das mit seinem Spargel essenden Kommissar und dessen Ermittlungen während eines Speichelfluss fördernden Siebengang-Menüs wieder wettmacht.

Überhaupt sind in dieser Sammlung die „Kriminaler“ – ob nun in heimatlichen Gefilden oder anderswo ermittelnd oder sogar selbst im Zentrum des kriminellen Geschehens stehend – von der eher menschlichen Sorte. Ebenso wie die Riege der Privatdetektive, unter denen der von Richard Dübell kreierte Ich-Erzähler ganz besonders herausragt, meint man doch, der normalerweise für seine historischen Kriminalromane bekannte Autor habe nie etwas anderes geschrieben als abgefahrene, kleine Miniaturen in „Schnüffler-Sprech“ über das Leben als solches, sowie die stets ungute Verflechtung zwischen Job, Politik und Privatleben.
Und selbst die Täter – egal ob der spielsüchtige Devotionalienhändler (was für ein Typ!) von Frauke Schuster, der unschuldig verurteilte Ex-Detektiv mit Wagner-Allergie, für den wir uns bei Ralf Kramp bedanken oder die psychologisch versierte Dame des horizontalen Gewerbes aus der Feder von Krystyna Kuhn, haben eigentlich immer nicht nur Sinn fürs Praktische, sondern auch etwas rührendes.

Mal launig, oft überraschend und packend, streckenweise ausgesprochen ernst, doch stets versiert schreiben kundige Kenner der einheimischen Szene mit ihren Geschichten Stadt-, Land-, Flussführer der ganz besonderen Art.
Wie Michael Rossié, der auf unendlich komische und doch so treffende Weise die Münchner Sehenswürdigkeiten auf ihre Tauglichkeit als Auffindungsort einer Leiche abprüft oder Sabine Thomas, die ihre Heldin der Wohnungsnot am Ammersee ungemein kreativ begegnen lässt und uns nebenbei noch Details aus dem Leben des Deep Purple Sängers David Coverdale übermittelt.

Traurig und gleichzeitig spannend, geheimnisvoll, brutal, aber auch anrührend und tröstlich sind die Geschichten von Anne Chaplet und Nina George, von denen die erste eine betrogene Geliebte im Bayerischen Wald den Alptraum einer jeden Frau erleben lässt (nämlich erst in Stöckelschuhen durch den Matsch waten und sich dann auch noch mit den eigenen Mord- und Rachegedanken auseinandersetzen zu müssen), während die zweite die Vergeltung am Peiniger der heimlichen Angebeteten durch einen „Fremdwohner“, einen Numbat in Menschengestalt vornehmen lässt.

Man spürt die Zuneigung zum Freistaat – von denen, die dort geboren sind, wie der Oberpfälzer Horst Eckert (dessen ungleiches Brüderpaar jeder für sich eine ebenso unkonventionelle wie ungesetzliche Lösung für die Finanzprobleme des Vaters findet, bevor letzterer seinen ganz eigenen Ausweg wählt) oder jenen, die wie Herausgeberin Angela Eßer (die in wenigen Seiten das Wesentliche der bajuwarischen Exekutive auf den Punkt bringt, nämlich die Omnipräsenz ihrer medialen Vertreter), schon seit vielen Jahren ihren Lebensmittelpunkt innerhalb der weißblauen Landesgrenzen gesucht und gefunden haben.

Darum muss das allerletzte Lob natürlich auch eben dieser Herausgeberin gelten, die es geschafft hat, eine kurzweilige und spannende Sammlung durchgehend ansprechender und anspruchsvoller Geschichten zusammenzutragen.

Miss Sophie