Das Buch direkt bei Amazon bestellen Ahmet Ümit
Nacht und Nebel

Original: Sis ve Gece
Aus dem Türkischen und mit einem Nachwort von Wolfgang Scharlipp
Unionsverlag gebunden
ISBN 3-293-10002-3

Die Türkische Bibliothek wird herausgeben von Erika Glassen und Jens Peter Laut. Eine Initiative der Robert Bosch Stiftung

Mine, die heimliche Geliebte des Geheimdienstmitarbeiters Sedat, ist verschwunden. Er selbst hat bei der Aushebung eines Terroristenunterschlupfs kaltblütig auf Fliehende geschossen. Gibt es zwischen diesen beiden Ereignissen einen Zusammenhang?
Sedat, der nur knapp einem Attentat entkommen ist, macht sich auf die Suche. Sie führt ihn in Istanbuls Künstlerszene, in die Schattenwelt der Kinderprostitution und Kleinstadtganoven.
Kategorien wie »Gut« und »Böse« lösen sich auf. Das herrschende System verliert für Sedat Tag für Tag an Glaubwürdigkeit. Je näher er der Lösung des Falls kommt, desto mehr zerfällt seine Selbstsicherheit.
In einem furiosen Finale bricht seine Lebenslüge zusammen.

Rezension:
Ein Kriminalroman der literarischen Ansprüchen genügt, das ist der 1996 erschienene und jetzt in der Reihe „Türkische Bibliothek“ aufgenommene Roman von Ahmet Ümit. Der Autor, selbst als Jugendlicher ein militantes Mitglied der türkischen kommunistischen Partei im Untergrund tätig, verwebt unzählige Eindrücke der fremden Mentalität mit einer Geheimdienstgeschichte.
Ein Mitarbeiter dieses Dienstes, Sedat, sucht seine Geliebte, Mine. Diese war mit einem seiner politischen Gegner, Fahri, liiert. Die Suche führt den Leser durch die fremde Kultur, politische Verwicklungen, Spannungen und Richtungskämpfe, Minderheiten und Kinderhandel.
Das Buch beginnt mit einer Schießerei, bei der Sedat niedergeschossen wird und erst im Krankenhaus wieder aufwacht. Sein Partner kommt bei der Aktion ums Leben. So wird die Suche nach Mine auch zu einer Suche nach den Attentätern. Der Kampf der Staatsgewalt gegen den Terrorismus wirkt in diesem Rahmen wie eine Liebesoper und wird zu einem psychologischen Drama.
Der Geheimdienstscherge, privat ein lieber Familienvater, kommt durch Vernehmungen, die mit Folter durchgesetzt werden, dem Geheimnis auf die Spur. Dabei versucht Ahmed Ümit den Leser die türkischen Verhältnisse nahezubringen. Im Nachwort des Übersetzers wird auch die offene Frage der Zeit geklärt in dem das Drama spielt. Nachdem sich der Autor darüber in Schweigen hüllt, ist es naheliegend, die Geschichte in die Mitte der 80er Jahre anzusiedeln, die Zeit des Militärputsches und der damit verbunden Wirren.
Ruhig, fast schon zu ruhig bei der Schilderung der miteinhergehenden Brutalität, und unaufdringlich ist der Schreibstil des türkischen Autors, dessen Schilderung fast als Autobiographie angesehen werden könnte.
Fazit: Eine ausgesprochen lesenswerte literarische Kriminalgeschichte, die fesselt und gleichzeitig den Horizont erweitert.

Luggi