Das Buch direkt bei Amazon bestellen Leila Marouane
Die Bestrafung der Heuchler

Original: Le Châtiment des Hypocrites
Aus dem Französischen von Regina Keil-Sagawe
Haymon gebunden
ISBN 3-85218-477-0

Algier im Zeichen des allgegenwärtigen Terrors.
Fatima, eine moderne junge Frau, von Beruf Hebamme, wird von islamistischen Terroristen entführt, in ein Lager in den Bergen verschleppt und mehrfach vergewaltigt.
Monate später taucht sie wieder auf, hochschwanger, verkrüppelt, seelisch zerstört. Sie versteckt sich in einem Frauenhaus, bringt ein Mädchen zur Welt und beginnt ein Doppelleben, nachts geht sie als Prostituierte auf Freierfang, ihr Operationsbesteck immer griffbereit und über finstere Rache sinnierend; tagsüber stopft sie sich mit Psychopharmaka voll.
Als ihr ihr ehemaliger Verlobter Rachid über den Weg läuft, geht sie mit ihm nach Paris und hofft auf ein Ende ihrer Alpträume. Aber die Vergangenheit holt sie auf erschreckende Weise ein.

Rezension:
Hier geht es um Gewalt.
Um blutige physische Gewalt, die die Protagonistin erleiden muss, aber auch um subtile und ebenso schmerzhafte psychische Gewalt.
Darum, wie aus einer selbstbewussten, fröhlichen, aufgeschlossenen jungen Frau erst ein Zombie wird, der die Welt nur noch durch den Schleier von Medikamenten wahrnimmt und dann eine pathetische Figur, kaum mehr als das Abziehbild einer echten Person.
Doch werden diese Ereignisse rund um Madame Amor und ihre Vergangenheit als Mademoiselle Kosra nicht etwa mit brutaler Direktheit geschildert, sondern im Gegenteil auf weiten Strecken leichtfüßig-literarisch, wenn nicht gar poetisch verbrämt. Grauen pur - geschickt alterniert mit dem Duft von blühenden Wiesen und dem Anblick von roter Seidenunterwäsche …
Und mit jeder Seite steigt die Beklemmung des Lesers - wenn er noch mehr erfährt von Fatima, die von der Strasse weg entführt wurde, von Ängsten so geschüttelt, dass Blase und Darm sich unkontrolliert entleeren. Wenn er – oder doch besser sie – versucht, sich auszumalen, wie die Flucht ausgesehen haben muss, acht unvorstellbar grauenhafte Monate später. Und das beredte Schweigen aller Anverwandten, die genau wussten, was geschehen war und doch kein Wort des Mitgefühls verloren. Wie das Schicksal die Hebamme zur Hure und Diebin gemacht hat – und was ihr alles angetan wurde – das ist erst nach und nach zu erfahren, wenn es nicht sowieso der Imagination des Lesers überlassen wird.
Dennoch ist da Platz für Hoffnung, als die Unglückliche jenen Mann wieder trifft, dem sie als Neugeborene versprochen worden war. An Körper und Seele eine einzige offene Wunde verzehrt sie sich nach Linderung in Form von Anteilnahme und Interesse. Verspricht sich Heilung durch den charmanten, weltgewandten Wahl-Pariser.
Was sie jedoch erntet, das schmerzt fast noch mehr als die ihr in den Bergen zugefügten Gräueltaten: Lieblosigkeit, Desinteresse, absichtliches Manövrieren ins gesellschaftliche Aus, verdammt zu einem Leben ohne Papiere. Dabei hat die Bedauernswerte sexuell allzeit bereit zu sein, ohne Rücksicht auf eigene Bedürfnisse oder auch nur auf die Zerstörung, die ihr Körper nicht nur äußerlich erfahren hat. Wenn wundert es da, dass die die Ereignisse schildernde Protagonistin erst ganz am Schluss aus ihrer distanzierten Position herauskommt, um als Ich-Erzählerin Verantwortung zu übernehmen.
Elegant mischt die Autorin romantische Rückblenden und lakonische Schilderungen einer beklagenswerten Existenz, lässt beim Leser Abscheu, Wut und stellvertretende Verzweiflung immer mehr ansteigen, so dass das blutige Finale eigentlich nichts als eine logische Konsequenz eines zutiefst verpfuschten Lebens darstellt.
Aufwühlend und bedrückend, aber dennoch ungemein kraftvoll und beeindruckend, stellenweise sogar mit bitterbösem schwarzen Humor angereichert, ist dieser Roman ein absolut lesenswertes Stück maghrebinischer Literatur, das zum Nachdenken anregt – und vielleicht auch dazu, sich mit dem tatsächlichen Leben von Frauen wie Fatima zu beschäftigen.

Miss Sophie