Das Buch direkt bei Amazon bestellen Martha Grimes Angelika Felenda
Das Hotel am See

Original: Hotel Paradise
(1. Band Emma Graham)
Aus dem Amerikanischen von Angelika Felenda
Goldmann TB
ISBN: 3-442-46099-9

Die zwölfjährige Emma ist von einem Todesfall fasziniert, der vierzig Jahre zurückliegt. Damals hatte man die Leiche eines jungen Mädchens im Spirit Lake gefunden, inmitten von Schilf und Wasserlilien. Ein Bootsunfall, wie es hieß.
Doch Emma will das nicht glauben. Als eine weitere Tote gefunden wird, spürt sie, dass die beiden Fälle auf tragische Weise miteinander verknüpft sind.
Emma ist entschlossen, das Rätsel zu lösen – obwohl sie weiß, dass manche Dinge besser für immer im Dunkeln blieben …

Rezension:
Sie möchte einen dauern, diese vaterlose Emma, die mit Mutter, Bruder, Großtante, sowie der Geschäftspartnerin ihrer Mutter und deren boshafter 16jähriger Tochter Ree-Jane in dem heruntergekommenen Hotel am Spirit Lake lebt.

Innerhalb der Familie gibt es keine Nähe - wohl wird die 12jährige weder geschlagen noch angeschrieen, aber es ist kein warmes oder gar herzliches Verhältnis, dass das Kind mit Mutter oder Bruder verbindet.
Der 14jährige Will ist ein Meister darin, andere hinters Licht zu führen - nicht umsonst gehört seine Leidenschaft dem Theaterspiel.
Mutter Jen ist eine Meisterköchin und begabte Schneiderin - doch vor allem legt sie Wert auf korrektes, förmliches Benehmen.

Ganz anders ihre 91jährige angeheiratete Großtante Aurora: Diese residiert, Karten spielend und trinkend, im 3. Stock, den sie nie verlässt und ihr Lebensinhalt besteht im Wesentlichen darin, sich zu beschweren, sowie alle und jeden zu beschimpfen.
Was Emma mit stoischer Ruhe erträgt - ist sie dies doch schon durch ihre Serviertätigkeit gewohnt. Auch da gibt es ein paar Stammgäste, die nie zufrieden sind.
Vor allem aber fürchtet sich das Mädchen als einzige im Haus nicht vor der Tante, weswegen diese dem Kind auf ihre ganz eigene Art irgendwie zugetan ist und es bei seinen Ermittlungen hin und wieder mit Informationen unterstützt.

Andere würden es Neugierde nennen - Kinogängerin Emma, die mit Vorliebe Geschichten schreibt und/oder Menschen beobachtet, geht den Dingen einfach ausgesprochen gern auf den Grund.
Darum verbeißt sie sich auch so sehr in die Geschichte des vor fast 40 Jahren im See ertrunkenen Mädchens und ruht nicht, bevor sie nicht die Hintergründe enthüllt hat.

Dabei stehen ihr zahlreiche Menschen zur Seite und es wird klar, dass Emma trotz ihrer zwiespältigen familiären Situation und dem Mangel an gleichaltrigen freunden festen Rückhalt in der Gemeinde hat, in der sie lebt.
Da ist etwa der Sheriff, der lange Spaziergänge mit dem einsamen Kind unternimmt ... Oder die Bedienung im Café Rainbow, die der Kleinen immer wieder ihr geliebtes Chili serviert ... Die beiden alten Brüder, die ob ihrer verwaschenen Aussprache keiner versteht und der alte Mann, der als "Dolmetscher" fungiert ... Oder die verschrobenen älteren Ladenbesitzerinnen, die sie immer wieder auf eine Tasse Tee einladen ... - sie alle respektieren Emma und behandeln sie wie ihresgleichen.

Das schafft eine gute vertrauensvolle Grundstimmung - auch für den Leser, der immer mehr in den Sog dieser urigen Stadt mit ihren ganz eigenen Gesetzmäßigkeiten hineingezogen wird.
So schreibt der Sheriff den angeberischen Inhabern der Luxusschlitten mit Vorliebe Strafzettel für das Überschreiten der Parkzeit, während er bei anderen die Parkuhr auch schon mal selbst mit Kleingeld füttert, bevor sie abläuft.

Viele der betagten Einwohner wissen mehr über die Vergangenheit, als es auf den ersten Blick scheint - aber man muss ihnen auch zuhören. Und genau das tut Emma.
Auf die Vergangenheit genauso bezogen wie auf die Gegenwart.

Das zahlt sich am Ende aus - doch sind längst nicht alle Fragen beantwortet, alle Rätsel gelöst.

Wodurch dem Leser nur der fiebrige Griff nach dem nächsten Band bleibt - und die Hoffnung, Martha Grimes möge neben ihrer hervorragenden Inspector-Jury-Reihe auch diese ausgesprochen spannende, gut beobachtete, unterhaltsame Serie für Leser jeglichen Alters noch recht lange fortführen.

Miss Sophie