Das Buch direkt bei Amazon bestellen Andrea Schacht
Die elfte Jungfrau

(4. Band)
Blanvalet Taschenbuch
ISBN 978-3-442-36780-1

Köln, zur Karnevalszeit des Jahres 1377. Vor Beginn der Fastenzeit herrscht ausgelassene Stimmung in der Stadt. Doch die junge Begine Almut Bossart ist beunruhigt: In den letzten Monaten häufen sich Unfälle, bei denen junge Frauen zu Tode kommen.
Dann verschwindet eine der Schülerinnen aus dem Beginen-Konvent – ihre Leiche wird kurz darauf mit gebrochenem Genick aufgefunden.
Almut und Pater Ivo bringen eine erschreckende Mordserie ans Tageslicht, der bereits zehn Jungfrauen zum Opfer gefallen sind!
Und inmitten des Narrentreibens stoßen sie auf einen schwunghaften Reliquienhandel mit geschnitzten Büsten der heiligen Ursula und ihrer elf Jungfrauen.

Rezension:
560 Seiten sind keine einzige zu viel!
Im Gegenteil! Schon in dem Moment, in dem die Leserin nach mehreren Stunden ununterbrochener Lektüre den vorliegenden vierten Band der Ereignisse rund um die Kölner Begine Almut Bossart mit einem kleinen Aufseufzen und einer Träne im Augenwinkel schließt, möchte sie am liebsten von vorn beginnen. Oder noch lieber erfahren, wie es weitergeht, jetzt, da die Karten noch einmal ganz neu gemischt wurden ...

Andrea Schacht ist das Kunststück gelungen, in einem vertrauten Rahmen, bevölkert von lieb gewonnenen Figuren, ein neues, spannendes Szenario zu schaffen, das nicht nur den in Freunden exzellenter historischer Kriminalromane den Wunsch nach mehr weckt.

Das Ambiente ist aus den Vorgängerbänden bekannt: Zusammen mit 11 anderen Frauen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Herkunft lebt die Endzwanzigerin Almut in einem Kölner Konvent. Die Bewohnerinnen haben sich einem frommen und gottgefälligen Leben verschrieben, ohne jedoch unter der Vormundschaft eines Mannes zu stehen. Und auch ohne für immer den Schleier zu nehmen, was Almuts Vater, den Baumeister Bertholf stets dazu bewegt, seiner Tochter immer neue potentielle Heiratskandidaten zu präsentieren.

Die Frauen – viele von ihnen kinderlose Witwen wie Almut - kümmern sich nicht nur um Bedürftige und Kranke, sondern haben nun auch eine Schule gegründet, in der sie Mädchen aus wenig begütertem Hause (um nicht zu sagen, aus der Unterschicht, sind es doch etwa Töchter von Dirnen, Mägden und Wäscherinnen) im Lesen, Schreiben und Rechnen unterweisen. Zwischen acht und vierzehn sind ihre Zöglinge alt – und so übermütig, schwatzhaft und ein wenig verspielt wie es Kinder in diesem Alter eben sind.
Umso entsetzlicher, dass sich bei Almut immer mehr der Verdacht bestärkt, ein kaltblütiger Mörder habe es genau auf diese jungen Mädchen abgesehen, in dem er sie zunächst betört, dann tötet.
Natürlich bemüht sich die unerschrockene Begine mit der baustellenbewährten Stimme den gewissenlosen Verführer zur Strecke zu bringen – und kann doch nicht verhindern, dass er weitere Opfer sucht und findet ...
Unterstützung erhält die gewitzte Rothaarige durch den nur nach außen knallharten und unerbittlich wirkenden Pater Ivo, den Apotheker Krudener, der ob seiner Heilkünste selbst einen immer schwereren Stand in der Stadt hat, Almuts Halbschwester Aziza, deren Lebenswandel nur teilweise so lästerlich ist, wie man ihr nachsagt, sowie einige kluge und tatkräftige Beginen und Angehörige des Klosters zu Groß St. Martin.

Die überaus spannende Geschichte wird immer wieder aufgelockert durch heitere Wortgefechte (etwa zwischen dem Päckelchesträger Pitter und seinen Gefährtinnen in der Studierstube oder den frisch vermählten Adler-Wirtsleuten) oder durch die aufmüpfigen Dispute zwischen Almut und einem bigotten Priester, der das Studium der Bibel für weibliche Wesen nicht nur unschicklich, sondern in hohem Grade schädlich hält.

Als kundige Kennerin „ihres“ historischen Kölns sorgt Andrea Schacht wieder einmal dafür, dass der Leser den Wunsch verspürt, einen Zeitsprung machen zu können – mitten hinein in ein ausgelassenes Hochzeitsfest, in das übermütige Karnevalstreiben, in die geheimnisvolle Welt der Katakomben unter der Stadt.
Vorausgesetzt natürlich man hätte weder die erbarmungslosen Hände der Häscher zu fürchten, die jedermann auf eine Verdächtigung hin in den schmutzigen, fensterlosen Turm stecken konnten, noch müsse man sich als Kranker - wie der fallsüchtige Bertram - Hohn, Spott und körperliche Angriffe gefallen lassen, statt Mitleid und Hilfe zu finden.

Und wie in bisher jedem Almut-Band gibt es auch hier eine Anbindung an die „echte“ Vergangenheit und Gegenwart der rheinischen Metropole. Diesmal ist sie im Titel zu finden: Er bezieht sich auf die Legende der noch heute hoch geschätzten und im Stadtwappen durch elf Flammen dargestellten heiligen Ursula und ihrer Gefährtinnen.

„Die elfte Jungfrau“ ist mit Sicherheit ein zentraler Titel dieser, aufgrund der Entwicklung der Personen am besten chronologisch zu lesenden, Reihe, von der sich der Leser noch diverse Bände wünscht.
Denn nun ist eine entscheidende Wendung in der bewegten und bewegenden Beziehung zwischen den beiden Protagonisten eingetreten, die viele neue Möglichkeiten eröffnet, aber auch manche Kreise zum Abschluss bringt.
Genügend Potential für turbulente Fortsetzungen bietet die Welt der Almut allemal – und der eine oder andere versteckte Hinweis lässt den Leser auf weitere unvorhersehbare Schwierigkeiten (und ihre hoffentlich glückliche Auflösung) hoffen.

Aber bis dahin heißt es, sich zu gedulden – und sich eventuell durch eine genaue Lektüre der zahlreichen im Buch erwähnten „Prediger“-Bibelstellen weitere erstaunliche Wahrheiten und Weisheiten zu erschließen.

Miss Sophie