Das Buch direkt bei Amazon bestellen Oliver Bottini
Im Auftrag der Väter

(3. Band)
Scherz gebunden
ISBN 978-3-502-11009-5

An einem regnerischen, nebligen Wochenende im Oktober steht plötzlich ein Mann im Garten der Freiburger Familie Niemann. Er versucht ins Haus einzudringen, doch als die Polizei eintrifft, ist er schon wieder verschwunden.
In derselben Nacht kehrt er zurück und stellt der Familie ein unerklärliches Ultimatum.
Die Freiburger Hauptkommissarin Louise Bonì und ihre Kollegen ermitteln unter Hochdruck. Es geht das Gerücht, dass der Täter vom Balkan stammt.
Louises Ermittlungen führen sie in ein gefährliches Niemandsland.

Rezension:
Zuerst die gute Nachricht: Louise ist nun definitiv trocken. Selbst die Ereignisse im vorliegenden, dem dritten Band einer gleichbleibend hervorragenden Reihe um eine eigensinnige, eigenwillige und sehr oft auch eigenbrötlerische Polizisten mit Fehl und Tadel, selbst das also, was sich hier abspielt und wieder einmal direkt ans Eingemachte der Protagonistin geht, bringen sie nicht zurück in die Fänge des Alkohols, aus dem die Halbfranzösin sich mit so viel Mühe befreit hat.

Und nun die schlechte Nachricht (zumindest für die Figuren, die Oliver Bottini so gekonnt zum Leben erweckt hat): Leider gibt es noch viel zu viele da draußen, die alles andere als unbeschadet aus den teils grauenvollen Erlebnissen der Vergangenheit, egal ob selbstverschuldet oder vom Schicksal eingebrockt, herausgegangen sind.
Sie können sich nicht von den Gespenstern der Vergangenheit befreien, lassen im Gegenteil zu, dass diese die Oberhand über ihr aktuelles Leben übernehmen, was in mehr als einem Fall direkt in die Katastrophe zu münden scheint.

Man weiß nicht, ob man sie zutiefst bedauern – oder ihnen die Lethargie, das Selbstmitleid, die wirren Rache- und Vergeltungsgedanken aus dem Leib schütteln soll, wie Louise es mit wechselndem Erfolg versucht.

All diese Charaktere sind es, die vor, hinter und neben dem Kriminalfall an sich zwar nicht immer im Mittelpunkt stehen, das Buch aber dennoch bestimmen.

Das Paar mit seiner zerrütteten Ehe – eine Tortur für alle Beteiligten, nicht zuletzt die beiden Kinder.
Der Polizist, der aufgrund seiner traumatischen Erfahrung mit dem Tod „im Dienst“ schon 18 Monate krank geschrieben ist.
Der andere, der trotz größter persönlicher Tragödie weiterarbeitet.
Die Pfarrerin, die die Finger nicht von der Flasche lassen kann.

Und viele, viele entwurzelte, heimatlose Menschen. Russlanddeutsche, Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien, Bosnier, Serben, Kroaten, Donauschwaben, die schon viele Jahre zuvor das Glück in der Ferne suchten.
Männer, Frauen, Kinder, die nirgendwo wirklich hingehören, immer wieder versetzt, verlegt, verschachert oder einfach nur abgeschoben werden.
Menschen ohne ein echtes Zuhause, in dem sie sich sicher und geborgen fühlen können.

Irgendwie ist auch Louise jetzt eine von ihnen – wohnt sie doch mitten auf einer Baustelle, weil sie sich weigert, so wie die anderen Hausbewohner während der Umbauarbeiten ihre Wohnung aufzugeben. Um sie herum wird alles abgerissen, umgestaltet, neu gemacht – der Zutritt zu ihrem Heim besteht aus einer provisorischen Metalltüre im Wohnzimmer, die sie über eine Bautreppe am Gerüst erreicht.

Ein bisschen ist das fast symptomatisch für ihr ganzes Leben:
Vieles ist im Umbruch: Der unmittelbare Vorgesetzte, Bermann, ist zwar der gleiche geblieben (widerwillig, hatte er sich doch vergeblich wegbeworben, um langfristig ins Innenministerium gehen zu können), doch eine Hierarchiestufe weiter oben hat sich einiges getan – und das nicht unbedingt zum Besten. Außerdem gibt es neue Kollegen – etwa Mats Benedikt, einen Schnurrbartträger aus Karlsruhe, der auf Staatsschutz spezialisiert ist.
Aber auch ihr Privatleben ist noch lange nicht geregelt: Der, der ihr fehlt, ist weit weg – den, der Nähe will und geben könnte, will sie nicht ...
Und viele Erinnerungen an früher wollen bewältigt werden – nicht nur ihre eigenen.

Mitten in diesem Gefühlswirrwarr bahnt sich nun eine unaufhaltsame, angekündigte Tragödie an, ein Rennen gegen die Zeit, so angstbesetzt für alle Beteiligten, dass sich auch der Leser dem nicht entziehen kann:
Ein Mann bedroht eine Familie – Vater, Mutter, zwei Teenager. Der Grund liegt zunächst völlig im Dunkeln, was er tun wird ebenfalls, nur zwei Dinge sind klar: Der Unbekannte ist der Polizei immer eine Nasenlänge voraus und die Bedrohten sind nicht gewillt, seinen Forderungen nachzugeben.

Wie der mehrfach preisgekrönte Autor die spannende Handlung immer mehr vorantreibt, auf den ersten großen Höhepunkt zu, das ist bravourös.
Wie er dem Ganzen dann mehrere unerwartete Wendungen folgen lässt, bis es zum unausweichlichen Finale kommt, das zeigt, dass hier einer sein Handwerk wirklich versteht.

Die Heldin ist zuweilen sperrig – launisch, ungerecht, dickköpfig.
Der Plot streckenweise mit umfangreichen Hintergrundinformationen unterfüttert, die dem Leser Aufmerksamkeit und Interesse an historischen Ereignissen auch der jüngeren Geschichte abverlangen (so er das möchte – die Haupthandlung erschließt sich auch so).
Der Roman einfach nur verdammt gut.

Miss Sophie