Das Buch direkt bei Amazon bestellen Ian Rankin Juliane Gräbener-Müller
Im Namen der Toten

Originaltitel: The Naming of the Dead
Aus dem Englischen von Juliane Gräbener-Müller
(16. Band)
Manhattan gebunden
ISBN 978-3442546060

Sommer 2005 – die ganze Welt schaut auf Schottland, wo im Luxushotel Gleneagles das Gipfeltreffen der G8-Staaten stattfindet. Die Polizei hat bereits im Vorfeld alle Hände voll zu tun, nur Inspector Rebus wurde trotz der angespannten Lage zum Stillsitzen verdonnert.
Bis an einem geheimnisumwitterten Ort bei Auchterarder – und damit in der Nähe des Hotels – Spuren gefunden werden, die auf einen Serienkiller hindeuten. Seine Opfer sucht er offenbar unter kürzlich entlassenen Sexualstraftätern, und drei hat er bereits getötet.
Rebus ist der einzige, der den Fall übernehmen kann, und gelangt so in den Dunstkreis des G8-Treffens, von dem er eigentlich um jeden Preis ferngehalten werden sollte. Prompt gerät er mit dem englischen Leiter der Sicherheitsmaßnahmen aneinander.
Siobhan Clarke liegt ebenfalls mit ihren Vorgesetzten im Clinch, seit sie den Polizisten sucht, der ihre Mutter bei einer der Demonstrationen verprügelt hat.
Und sie lässt sich in ihren Nachforschungen ebenso wenig beirren wie Rebus …

Rezension:
Er steht ein Jahr vor seiner Pensionierung - sein Platz in der Nahrungskette des Dezernats ist "irgendwo ganz unten zwischen dem Plankton". Und doch ist John Rebus keineswegs gewillt, seine "jahrelange Aufsässigkeit" und sein "kompromissloses Verhalten" gerade jetzt an den Nagel zu hängen. Selbst dann nicht, als sein jüngerer Bruder mit Mitte 50 überraschend verstirbt.

Stattdessen stürzt er sich, gegen den ausdrücklichen Willen des Chefs, in die Ermittlungsarbeiten von gleich zwei Todesfällen:
Den Mord an einem Kerl, um den es eigentlich nicht schade war - einen verurteilten Vergewaltiger, ohne Reue, ohne gute Prognose, den man nach Verbüßung seiner Strafe entlassen hatte.
Und den Todessturz eines Parlamentsmitglieds, der sich kaum zu einem unpassenderen Zeitpunkt hätte ereignen können, als während eines formellen Abendessens mit hochkarätiger Beteiligung aus der internationalen Politik und Wirtschaft am Vorabend des G8.

In beiden Fällen ist Siobhan an seiner Seite - die allerdings noch ein ganz anderes Problem hat: Sind doch ihre Eltern, Alt-68er, unter den Demonstranten. Und nachdem sich alles erst ganz easy anlässt, eskaliert die Situation und es fließt Blut.

Der Rebus-Kenner trifft einige alte Bekannte, unter ihnen Morris Gerald, genannt "Big Ger" Cafferty.
So viele Jahre haben sie gemeinsam durchgestanden, der alternde Verbrecher und der Mann, der für Recht und Ordnung eintrat, es aber dennoch immer mit den Ausgestoßenen hielt. Und unmerklich hat sich ihr Verhältnis gewandelt - zumindest manchmal ist da bei aller Gegensätzlichkeit ein kleinster gemeinsamer Nenner auszumachen.
Auch dem Leser geht es nicht anders - wo der Kopf sagt, dass ein Unterweltler mit Caffertys Vergangenheit (und seinen gegenwärtigen Aktivitäten) per se zu verabscheuen und verurteilen ist, flackert doch tief unten im Bauch, wo sich die Grenzen zwischen dem was das Gesetz erlaubt und dem, was in der Situation angemessen erscheint, verwischen, immer wieder ein Funken Sympathie für Big Ger und seine ausgesprochen direkten und sehr wirkungsvollen Methoden auf.

Zumal der Roman einige andere, einfach nur verabscheuungswürdige Figuren, zu bieten hat: Etwa der aalglatte Londoner Commander Steelforth, der versucht, vieles zu vertuschen und auch nicht zimperlich ist, wenn es um Repressalien geht und darum, Rebus einzuschüchtern.

Der Reigen wird komplettiert durch Globalisierungsgegner und solche, die ehrlich besorgte Umweltschützer instrumentalisieren, Vertreter von Drittweltländern, die unter dem Deckmantels des Fortschritts und der Entwicklungshilfe Aufrüstung betreiben oder sich persönlich bereichern, sowie einen Stadtrat, bei dem man sich permanent fragt, wie viel Volksnähe stattfinden kann, darf oder soll und wann es Zeit ist, misstrauisch zu werden.

Rankin hat sich viel vorgenommen: Auf den knapp 600 Seiten verknüpft er so unterschiedliche Themen wie politisches Ränkespiel, gelebte Demokratie, die Legitimität von Vergeltung angesichts schlimmster Vergehen, sowie immer wieder Segen und Fluch von Familienbanden.
Aber es ihm gelungen, ein harmonisches Ganzes daraus zu machen, das auch diesmal (fast stärker noch als in früheren Bänden der Reihe) den Leser berührt und ihn an seine eigenen Abgründe führt - denn wie hätte man selbst wohl gefühlt oder gehandelt, wenn die eigene Mutter, der Vater, die Schwester, der Bruder im Zentrum von Übergriffen oder Schlimmerem gestanden hätten?
Zum Glück gibt es auch diesmal immer wieder Gelegenheit, sich bei einem ironischen Wortwechsel oder bei einem weiteren anschaulichen Beispiel von Rebus despektierlichem Verhalten von der "schweren Kost" mancher Szenen zu erholen.

Doch gerade die immer intensivere Vertrautheit mit dem alten Haudegen - und die Verbundenheit, die der Leser spürt, der ihn durch mittlerweile 16 Bände und einer nicht unbeträchtlichen charakterlichen Verwandlung begleitet hat - lässt einem das Herz schwer werden beim Gedanken daran, dass Ende der Karriere und damit wohl auch der Reihe um John Rebus absehbar ist.
Andererseits: Einer wie Ian Rankin, der auch gern mal ganz neue Wege geht, wird seinen Fans mit Sicherheit einen adäquaten Ersatz bieten können.

Und noch ist es ja nicht so weit - freuen wir uns also erst einmal an einem exzellenten Kriminalroman und warten mit Spannung auf den nächsten Rebus.

Miss Sophie