Das Buch direkt bei Amazon bestellen Sabine Thiesler
Die Totengräberin

Heyne gebunden
ISBN 978-3-453-43275-8

Wenn einer den anderen betrügt, ist das Leben zu Ende. Das hat sie schon als Kind gelernt. Und deshalb steht ihr Entschluss fest: Sie kann ohne ihn nicht leben, aber sie kann vor allem mit ihm nicht mehr leben.
Es ist ein warmer Sommermorgen in der Toskana. Heute soll er sterben. Sie hat alles vorbereitet, er wird nichts spüren. Jedenfalls nicht in den ersten Minuten.

Magda und Johannes haben sich mit ihrem Haus in der Toskana einen Traum erfüllt. Sie verbringen dort jedes Jahr mehrere Wochen und sind im Dorf bei den Einheimischen gut integriert.
Doch in diesem Sommer ist alles anders: Magda fährt allein voraus und wartet auf ihren Mann, der ein paar Tage später aus Berlin nachkommen will. Sie weiß, dass er die Zeit bei Carolina, seiner Geliebten, verbringt.
Magda ist nicht mehr bereit, dies zu ertragen. Johannes hat ihre Liebe zerstört, und jetzt ist die Zeit ihrer Rache gekommen. Sie geht ihren mörderischen Plan immer wieder in allen Einzelheiten durch und empfindet dabei unglaubliche Ruhe und tiefe Zufriedenheit.
An einem warmen Sommermorgen tötet sie ihren Mann, vergräbt ihn und meldet ihn als vermisst.
Als ihr Schwager Lukas zu Besuch kommt, eskaliert die Situation. Er liebt Magda und erkennt erst viel zu spät, in welch tödlicher Gefahr er sich befindet ...

Rezension:
Ein guter Krimi definiert sich durch die Suche nach dem Täter, den Wettlauf gegen die Zeit, die Tatsache, dass Leser (oder Zuschauer - falls es sich um einen Film handelt) genauso viel oder wenig wissen wie der ermittelnde Polizist.

Alternativ gibt es - spätestens seit dem Auftauchen des unverwechselbaren "Inspector Columbo" - die Variante, dass der Leser/Zuschauer von Anfang an über die Information darüber verfügt, wer die Tat begangen hat und den cleveren Ermittler dann bei seiner Suche nach dem Mörder begleitet.

Im vorliegenden Roman jedoch zeigt sich, dass auch ein dritter - überaus spannender - Weg denkbar ist, dem Beziehungsgefüge "Opfer-Täter-Kommissar-Leser" Leben einzuhauchen.

Wer wen umgebracht hat, ist von Anfang an klar: Die Ehefrau war's. Mit großem Geschick hat sie nicht nur den Mord eingefädelt, sondern das Verbrechen außerdem außerordentlich geschickt verschleiert.
Im Gegenzug ist der sich mit wenig Enthusiasmus um den Fall kümmernde Commissario Neri eine eher traurige Gestalt. Aus Rom in die Provinz versetzt, weil er mehr als einmal eine Ermittlung gründlich in den Sand gesetzt hat, bekleckert er sich auch diesmal nicht mit Ruhm - ganz egal, wie viele Steilvorlagen ihm seine kluge Ehefrau Gabriella liefert.

Das Ganze könnte ein komisches Duell der Kräfte sein, wenn, ja wenn da nicht Sabine Thieslers Geschick wäre, das Innenleben ihrer Protagonisten so plastisch darzustellen, dass der Leser förmlich hineingesogen wird in die immer absurder, wahnsinniger und gefährlicher werdende Situation.

Denn trotz der abscheulichen Tat ist die Akribie, mit der Magda vor den Bekannten und Verwandten das Verschwinden ihres Mannes inszeniert und sich aus allen Situationen herauswindet, in denen sie beinah entlarvt wird, einfach faszinierend.
Genauso wie der verzweifelte Versuch ihres Schwagers Lukas, eine Lösung für das Dilemma zu finden, in dem er sich befindet: Auf der einen Seite das Wissen um seines Bruders schreckliches Schicksal, auf der anderen die lange ersehnte Beziehung mit Magda.

Die Lage spitzt sich zu, als weitere Personen ins Spiel kommen: Ein schmieriger Theater- und Literaturkritiker, der blitzschnell seinen Vorteil aus einer Zufallsentdeckung zu ziehen weiß, sowie die Ex-Freundin des Opfers, die sich trotz der Trennung Sorgen um den Verbleib ihres Liebsten macht.

Schön auch die ironischen Momente: Neben den Fehlgriffen des Commissarios zählt sicher zu den ganz großen Highlights die Arbeitsweise des Buchkritikers, dessen Besprechungen - wie es selbstverständlich in der Realität niemals nicht geschehen könnte - mit Vorliebe auf Klappentexten und purer Annahmen basieren.

Dass Thiesler nicht nur hervorragende Bücher schreibt, sondern sich auch als Drehbuchautorin einen Namen gemacht hat, ist jeder einzelnen Szene anzumerken.
Atemlos verfolgt der Leser wie Magda immer wieder haarscharf an einer Entdeckung vorbeischrammt - und kann es kaum fassen, wenn der Gemüsegarten zum x-ten Mal Schauplatz einer Grabungsaktion wird, ohne dass dies zur sofortigen Verhaftung der Mörderin führt.

Hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch nach regelkonformer Auflösung und dem irrationalen Bedürfnis, es möge sich doch noch alles zu einem "glücklichen Ende" fügen, erreicht der Leser nach einem fulminanten Finale die letzte der in einem Rutsch verschlungenen 511 Seiten und weiß nicht, ob er Bedauern für das Schicksal all dieser unglücklichen Figuren empfinden oder einfach nur froh und glücklich sein soll, über einen gelungenen Psychothriller weitab von den ausgetretenen Pfaden des Genres.

Bleibt nur zu hoffen, dass sich Produzent bereits die Rechte an diesem wirklich gelungenen Werk gesichert hat - denn allzu gern würde man die brillante Martina Gedeck als wahnsinnige Mörderin sehen ...

Miss Sophie