Das Buch direkt bei Amazon bestellen Jutta Profijt
Kühlfach 4

(1. Band)
dtv TB
ISBN 978-3-423-21129-1

Dr. Martin Gänsewein trägt Dufflecoat, fährt Ente, sammelt Stadtpläne und geht als Rechtsmediziner dem täglichen Geschäft mit dem Tod äußerst gewissenhaft nach.
Über das Seelenleben der Verstorbenen macht er sich keine Gedanken, bis ihm eines Tages die Seele des kleinkriminellen Autoschiebers Pascha, dessen Leiche vor ihm auf dem Obduktionstisch liegt, ein Gespräch aufdrängt.
Pascha ist stinksauer. Sein angeblicher Unfalltod war nämlich in Wirklichkeit Mord, was ja allein schon eine Sauerei ist. Und jetzt muss er auch noch als Geist herumirren und seine eigene Obduktion mit ansehen!
Da Martin der Einzige ist, mit dem er Kontakt aufnehmen kann, soll er ihm jetzt auch helfen, die Wahrheit ans Licht zu bringen.
So nistet sich die nervtötende Seele bei dem sich vergeblich wehrenden Pathologen in Heim und Hirn ein, und das Verhängnis nimmt seinen Lauf.
Ehe Martin sich versieht, muss er sich im Rotlichtmilieu zurechtfinden und kollidiert unsanft mit der Kölner Autoschieberszene.
Sein Leben gerät nicht nur völlig aus den Fugen, sondern auch noch in große Gefahr. Und jetzt ist es an Pascha, sich schnellstens etwas einfallen zu lassen, um seinen neuen Freund zu retten ...

Rezension:
Der Typ ist Mitte 20, ein Prolet, der vordringlich Frauen, Alkohol, Spielautomaten und vielleicht noch geklaute Autos im Kopf hat. Und er ist tot.
Das wiederum ist nicht nur für ihn ein Problem, sondern vor allem für den Rechtsmediziner Martin, der ihn als einziger hören kann.

Ein stets korrekt gekleideter, bedächtiger, Tee trinkender Intellektueller und Sascha (genannt "Pascha"), das Unterschichts-Gespenst - kann das gut gehen?!
Es kann!
Wiewohl natürlich ihre Ansichten und Interessen, ganz zu schweigen von ihrer Ausdrucksweise, meist stark auseinandergehen.
Der eine ausgesprochen kultiviert - der andere ..., das lassen wir besser. Andererseits: Der junge Mann, pardon, das noch ganz frische Geistwesen, gibt sich wirklich große Mühe, Zugang zu einer ihm bis dato verborgenen Welt zu finden.

Sein Tod verleiht Pascha eine ganz andere Sicht auf die Dinge und sein bisheriges Dasein, inklusive sämtlicher Bekanntschaften, Hobbies und Gewohnheiten.

Dabei will der verblichene Autoknacker doch nur eins: Dass sich die Kölner Szene nicht an ihn erinnert als an "den Bodenturner, der besoffen von der Brücke gekippt ist."

Also machen sie sich auf die Suche nach den Tätern, diese beiden, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Der biedere Martin, der sich von Pascha in die finstersten Spelunken jagen lässt, um Ermittlungen zu führen, mit denen er sich ein ums andere Mal in die Bredouille begibt.
Nur gut, dass beide Virtuosen des Wortes sind und sich immer wieder den Weg aus einer Zwickmühle freiquatschen - so ein Geistersouffleur ist schon eine feine Sache.

Und Pascha, der sich - mangels anderer Unterhaltung - durch drölfzig TV-Programme glotzt, bevor er sich zur Nachtruhe ins Kühlfach begibt. Allerdings ist er gar nicht so cool, wie er sich geben möchte.
Spannend, witzig, und zuweilen wirklich anrührend, ist es, mitzuverfolgen, wie der Tote sich bemüht, es dem neuen Freund recht zu machen, sich anzupassen an die neuen Gegebenheiten, wie er um ein bisschen Zeit und Aufmerksamkeit buhlt, weil er sich so schrecklich einsam fühlt in dieser Welt, in der es nur ein einziges Geschöpf gibt, mit dem er sich austauschen kann.

Martin wiederum wächst immer mehr über sich selbst hinaus, ist unendlich mutig (zuweilen allerdings aus purer Dummheit oder in kompletter Unkenntnis der Gefahren, in die er sich begibt bei seinen Streifzügen durch die Kölner Unterwelt), gibt nicht auf, selbst als er mehr als einmal nicht nur kräftig geängstigt, sondern auch derbe verprügelt wird. Ganz abgesehen davon, dass sein eigenartiges Verhalten Kollegen und Freunde zur Annahme bringen, er sei übergeschnappt.

Doch dann gelingt ihm mit Saschas/Paschas Hilfe ein Coup, der seinesgleichen sucht - allein schon wegen dieser Szene würde eine Verfilmung des Buches mit Sicherheit sämtliche Kassenrekorde brechen, zu gelungen ist es, wenn der bodenständige Biedermann aufgrund seines Second-Hand-Insiderwissens elegant eine Straftat rückgängig macht!

Das hochdramatische Ende - nach einer nicht minder dramatischen, aber zwerchfellerschütternden Phase des Zwists unter den ungleichen Partnern - kommt irgendwie ziemlich abrupt.
Und sorgt beim Leser für Bedauern darüber, dass nun schon Schluss sein soll mit den skurrilen Situationen und brüllend komischen Wortgefechten, geschuldet dem Bildungsgefälle zwischen den Protagonisten und jenen Missverständnissen, die bei rein gedanklicher Kommunikation schon mal entstehen können.
Zumal manches noch ganz und gar nicht auserzählt ist ...

Aber vielleicht hat Jutta Profijt ja ein Herz für ihre Leser (wobei sich hier die Geschlechter garantiert die Waage halten, da der Roman sowohl ein Fest für Thriller- und Action-verwöhnte Männer als auch für weibliche Freunde intelligenter und überraschender Unterhaltung darstellt) und wir werden noch mehr hören von Sascha, Martin, dem schmierigen Pedro, dem dicken Olli, Miriam mit ihrem künstlerisch veranlagten Bruder, Katrin mit den Hupen, Birgit mit den Urlaubsfotos und natürlich Yvonne mit ihren empirischen Studien ...

Miss Sophie

.