Das Buch direkt bei Amazon bestellen Graham Gardner Alexandra Ernst
Im Schatten der Wächter

Originaltitel: Inventing Elliot
Übersetzt von Alexandra Ernst
cbj TB
ISBN: 978-3-570-30343-6
(Ab 13 Jahren)

Der 14-jährige Elliot, selbst jahrelang geprügeltes Opfer seiner Mitschüler, erfindet sich nach einem Schulwechsel einfach neu. Kaltblütig und abgebrüht, sodass ihn nie wieder jemand verletzen kann.
Tatsächlich werden auch an seiner neuen Schule schwache Schüler gequält, aber diesmal gehört Elliot nicht dazu.
Im Gegenteil: Seine Maskerade ist so gut, dass ihn die "Wächter" in ihre Reihen aufnehmen. Aber um einer von ihnen zu sein, muss Elliot nun seinerseits andere quälen.

(Deutscher Jugendliteraturpreis 2005)

Rezension:
Mit 12 wird Elliot gedemütigt, verleumdet, geprügelt - bis Blut fließt, bis er das Bewusstsein verliert.
Er wehrt sich nicht - doch das hilft ihm nichts, die Schulkameraden traktieren ihn noch mehr, die Lehrer ignorieren die Vorfälle.

Dann kommt der Umzug und alles wird neu.
Das Haus, das Leben, die Persönlichkeit des Jungen.
Nach wie vor ist er schmal und leicht - doch ein anderer Haarschnitt und ein bis zum Erstarren der Muskeln perfektionierter Gesichtsausdruck verschaffen ihm das Rüstzeug, aus seiner ewigen Opferrolle herauszukommen.

Was war er früher für ein Typ: Ein leidenschaftlicher Leser, fröhlich, unbekümmert und glücklich in seiner harmonischen Familie - mit einem Vater, der seinem einzigen Sohn stets vermittelte, dass man alles schaffen kann, wenn man wirklich daran glaubt, wenn man wirklich an sich glaubt.
Dann der Absturz - ein Überfall, bei dem Elliots Vater als gebrochener Mann gerade so mit dem Leben davon kommt.
Sein Unternehmen geht pleite, ein Miteinander der Familie gibt es nicht mehr, Geldsorgen und Sprachlosigkeit bestimmen den Alltag.
Der darauffolgende Schulwechsel brachte dem Jungen die Hölle auf Erden ...

Nun steht er also wieder am Scheideweg - neue Schule, neues Glück!
Allerdings stellt der Neuntklässler bald fest: Neue Schule, altes System:
Die von der Norm abweichen werden gehänselt, unter Druck gesetzt, geschlagen.

Auch wenn Elliot selbst nicht zur Zielscheibe für Hohn, Spott und Misshandlung wird, kennt er das Muster nur zu gut. Pure Angst bestimmt ab diesem Moment sein Leben - Panik beim Gedanken daran, als "uncool" enttarnt zu werden.

Deshalb greift er nicht ein, als er Augenzeuge einer kollektiven "Bestrafung" wird - und hasst sich selbst für seine Unfähigkeit, Position zu beziehen.

Dann tut er es doch ... - allerdings auf der "falschen" Seite. Bei den Peinigern, bei jenen, die hinter all den Grausamkeiten stecken. Ihr Motiv: Ein fanatisches Sendungsbewusstsein, das Bedürfnis, mit ihren Methoden der "Kontinuität" zu dienen und zu verhindern, dass jeder den ihm von der Natur zugeteilten Platz verlässt.

Es ist so klar, wohin das alles führt - und doch kann sich auch der Leser diesem Gefühl nicht entziehen: Der Versuchung, endlich selbst Macht zu haben, zu den Gewinnern zu gehören.
Elliots Seelenpein ist greifbar - umso mehr, als er gerade in dieser Zeit endlich einen echten Freund findet und ein Mädchen kennen lernt, die nicht ist wie alle anderen und bei der auch er die Maske fallen lassen darf.

Das Ende ist offen - und eine hervorragende Diskussionsgrundlage, nicht nur für Jugendliche.
Zu Recht wurde der Roman, der nichts an Aktualität verloren hat, preisgekrönt.

Miss Sophie