Das Buch direkt bei Amazon bestellen Mirijam Günter
Heim

Mirijam Günter (2121) Heim (4882) dtv TB
ISBN 978-3-423-78232-6
(Ab 14 Jahre)

"Unsere Welt, die Welt der Jungen und Mädchen aus den Heimen, hatte keinen Platz für Träume, sie ließ uns keine Zeit dazu. Wir lebten wie batteriebetriebene Männchen, solange die Batterie voll war, liefen wir. Wenn die Batterie leer war, waren wir tot."

Dreizehn Jahre ist die Ich-Erzählerin, als sie in ein Heim kommt. Knapp drei Jahre und einige Heime später steht sie bereits vor den Scherben ihres jungen Lebens: Sie hat sich den Ruf eines ›schwererziehbaren‹ Mädchens erworben, mehrere Schulen geschmissen und es sogar geschafft, bei einem Ausbruch einen Erzieher zu verletzen und mit ihrer Clique bis nach Spanien abzuhauen.

Ihre Freunde sind ihr einziger Halt, ihre Ersatzfamilie. Ihnen geht es ähnlich, sie alle tragen dieses gehetzte Lebensgefühl ins sich, das nicht selten mit Hilfe von Alkoholexzessen betäubt wird.
Und dennoch schafft es die Protagonistin immer wieder mit einer verblüffenden Schlagfertigkeit und Ironie weiterzumachen, indem sie sich selbst zuspricht:
"Ich bin fünfzehn Jahre alt und habe schon verdammt viel gesehen ..."

Ausgezeichnet mit dem Oldenburger Kinder- und Jugendbuchpreis 2003.

Rezension:
Rauchen für unter 15jährige verboten, zur Schule gehen müssen, um halb zehn ins Bett? Nein, das ist ja nun gar nichts für die Ich-Erzählerin ...

Die Erzieherin (Ex-Hippies aus der alternativen Szene mit einer Vorliebe für Tee und Mürbeteigplätzchen) werden konsequent ignoriert und düpiert, was wenig bis gar keine Folgen hat.
Die Schulleitung hat auch kein Interesse an "denen aus dem Heim" - automatisch geht man dort davon aus, dass sie dumm, faul und renitent sind und sowieso nicht oft zum Unterricht erscheinen werden. Integration in der Klasse? Fehlanzeige!

Also tut die Ich-Erzählerin, was sie immer schon gemacht hat: Sie haut den Leuten erst mal in die Fresse.

Was am Anfang noch frech und aufmüpfig klingt, macht den Leser bald richtig fassungslos. Nach 35 Seiten ist die erste Freundin schon tot - am Leben verzweifelt, an diesem Leben zerbrochen.

Das Heim wird schließlich aufgelöst - als auffällig und für die Allgemeinheit gefährlich wird das namenlose Mädchen in die Psychiatrie überstellt, mit Drogen vollgepumpt, reißt immer wieder aus.

Man möchte die Geschichte für übertrieben und aufgesetzt halten, bis man erfährt, dass die Autorin dieses Leben zu genüge kennt (sie war in sieben verschiedenen Heimen, bevor sie 16 wurde).
Streckenweise unvorstellbar und deprimierend, dann aber wieder so unbekümmert Huckleberry-Finnesk, dass man nicht komplett an der Lektüre verzweifelt.
Fast beiläufig wird vom Autoknacken, Einbrüchen und Trinkgelagen, von Selbstmord und Autounfall erzählt, eine Nacht in der Zelle ist ebenso wenig besonders wie die Abtreibung, die die Freundin eines "Insassen" auf Wunsch ihrer gutbürgerlichen Eltern durchführen lassen muss.

Harter Tobak - aber wirklich gute Lektüre für Jugendliche.

Miss Sophie