Das Buch direkt bei Amazon bestellen Anna Perera Bernadette Ott
Guantanamo Boy

Original: Guantanamo Boy
Deutsch von Bernadette Ott
cbt gebunden
ISBN 978-3-570-16050-3
(ab 13 Jahre)

Der fünfzehnjährige Khalid, Sohn pakistanischer Einwanderer, führt ein ganz normales Leben in Rochdale, England.
Doch das ändert sich schlagartig, als Khalid die Ferien in Pakistan verbringt. Ohne Vorwarnung wird er verhaftet, gewaltsam verhört und über mehrere Stationen nach Guantanamo verschleppt.
Immer wieder hofft Khalid, dass sich seine Inhaftierung als Missverständnis herausstellt. Doch der Albtraum hat erst begonnen und während seine Altersgenossen zum ersten Mal ihre Freiheit entdecken, verbringt Khalid zwei Jahre in dem rechtlosen, dunklen Ort, der Guantanamo heißt.

Rezension:
Das Schlimmste, was du dir vorstellen kannst, ist ein Brief deines Chemielehrers wegen ungebührlichen Verhaltens an deine Eltern?
Nun, Khalid aus Rochdale, England, geht es genauso.
Sein Papa ist Koch, die Mama Grundschullehrerin, die beiden kleinen Schwester sind sechs und vier Jahre alt - alles in allem also eine ganz normale Familie. Selbst wenn sie Muslime sind, leben sie doch nicht nach den allerstrengsten religiösen Regeln.

Der Fünfzehnjährige hat viele Freunde und große Pläne: Die Welt will er sehen wie sein zwei Jahre älterer Cousin (den er nur von E-Mails und über den Computer kennt) und er ist, wie so viele Kids, heiß auf Computer Spiele - Counter Strike, GTA, Starcraft. Spiele, bei denen es gilt, Strategien zu ersinnen und den Gegner zu bekämpfen und überlisten.

Seine Welt bekommt, sechs Monate nach dem legendären 11. September, erste Sprünge, als die Leute auf der Straße ihn aufgrund seiner braunen Haut und schwarzen Haare aus heiterem Himmel feindselig oder ängstlich mustern.

Dann stirbt seine Großmutter in Pakistan, weswegen die ganze Familie dorthin reist und ein Albtraum sondergleichen beginnt.
Zunächst scheint alles ganz normal: Die Langweile im Haus der Tanten bekämpft Khalid durch Computerspiele - sein Cousin hat selbst ein Spiel erfunden, in das sich die Jungs und weitere Mitspieler aus der ganzen Welt mit Begeisterung hineinstürzen.

Plötzlich jedoch verschwindet Khalids Vater und dann überschlagen sich die Ereignisse:
Mitten in der Nacht wird der Junge aus der Wohnung entführt, gefesselt, geschlagen, gedemütigt, gebetsmühlenhaft mit falschen Anschuldigungen konfrontiert.
Klar wird er wütend, wehrt sich - ebenso klar, dass er bitterlich büßen muss, mit schlagen und Tritten, schlimmer als zuvor.

Es folgen zwei Jahre ohne Höhen und mehr Tiefen, als sich ein normaler Mitteleuropäer vorstellen kann, bis die Sache endet.
Allerdings: "Vorbei" ist es nie - jemand, der so etwas erlebt hat, wird nie wieder heil.
Äußerlich vielleicht, aber nicht im Inneren.

Und doch ... - doch ist da die Botschaft, die Khalid am Ende seinen Schulkameraden und der Welt vermittelt: Dass Hass nur mehr Hass schürt und Gewalt keine Lösung ist.

Der Leser fühlt Khalids Hilflosigkeit und Verzweiflung als wäre es die eigene.
Diese entsetzliche Vorstellung, gar nicht zu wissen, weswegen man eingesperrt und gequält wird. Auf die eigenen Rechte zu hoffen, wie man es zu Hause in einem zivilisierten Land gewohnt ist und NICHTS davon zu bekommen.
TV-Bilder werden plötzlich zu Einzelschicksalen - Menschen, die Khalid auf seinem Leidensweg trifft, haben ebenfalls Entsetzliches erlebt, grundlos ihre Freiheit und ihren Lebensunterhalt verloren.

Die Demütigungen, die die Gefangenen erleiden, wenn man sie schert wie Schafe und splitterfasernackt in Reih und Glied stehen lässt, gehen unter die Haut, der Leser fühlt sich, als wäre er selbst gefangen in einem Stacheldrahtkäfig, schutzlos allen Blicken preisgegeben.

Ganz schlimm auch die Beschreibung der Wärter - selbst noch junge Burschen, die teilweise zum Militär gingen, um ein Abenteuer zu erleben und nun mit Dingen konfrontiert sind, die sie heillos überfordern.
Natürlich gibt es auch die anderen, die Freiwilligen, die Sadisten - selbst vielleicht immer unterdrückt und verspottet, die nun die Gelegenheit ergreifen und all ihre Aggressionen an den Gefangenen auslassen.
Das Ende bringt zwar zunächst ein wenig Aufatmen - aber die Hölle im Kopf bleibt.

Ein Buch, das sprachlos und betroffen macht.
Ein Roman, in dem sogar das Layout verdeutlicht, was passiert: Als Khalid ununterbrochen verhört wird, finden nur noch Satzfetzen ihren Weg aufs Papier - flüchtig, wie die Gedanken des Jungen nach drei Tagen Schlafentzug. Die Schrift verschwimmt, das Bild wird gedoppelt.
Wenn brutalste Foltermethoden wie die "Wasserkur" en detail geschildert werden, dann mag so mancher junge Leser sich mit Grausen abwenden.
Und auch (oder gerade) den erwachsenen Leser schmerzt fast körperlich, miterleben zu müssen, wie ein junger Mensch (fast) gebrochen und in den Wahnsinn getrieben wird ...
Ein brutales Buch, ein zu Herzen gehendes Buch, ein unglaublich wichtiges Buch zum Verständnis von Zeitgeschichte und zu dem, was in unserer Welt passiert. Heute. Nur wenige Flugstunden entfernt.

Miss Sophie

 

Gastrezension(en):


Name: leser
Email:
Datum: 7.3.2012 (19:35)

einfach... wow!