Das Buch direkt bei Amazon bestellen Jürgen Kehrer
Fürchte dich nicht

grafit gebunden
ISBN 978-3894256616

Auf der Nordseeinsel Norderney soll ein internationales Gipfeltreffen stattfinden.
Während die Vorbereitungen auf Hochtouren laufen, mehren sich jedoch merkwürdige Todesfälle: Offensichtlich führt eine Virusinfektion zu irrationalem Verhalten mit unkalkulierbaren Folgen.
Den Betroffenen gemein ist, dass sie von Zecken gestochen wurden und sich in ihren Gehirnen mutierte FSME-Viren nachweisen lassen.
Der Leiter der örtlichen Polizeistation Martin Geis fordert, die Öffentlichkeit vor der neuen Krankheit zu warnen, doch die Politiker wollen den Gipfel wie geplant stattfinden lassen und die Geschichte unter den Teppich kehren.
In Berlin befasst sich die Zeckenforscherin Viola de Monti mit dem Fall und stellt fest, dass es an anderen Orten Deutschlands ähnliche Vorkommnisse wie auf Norderney gibt, aber unvermittelt werden ihr die Nachforschungen von oberster Stelle verboten.
Heimlich recherchiert die Wissenschaftlerin, die auch ein persönliches Interesse an dem Fall hat, weiter:
Ist das mutierte Virus ein Produkt menschlicher Forschung?
Und kann es helfen, ihre eigenen Probleme zu lösen?

Rezension:
Ein jahrzehntelang gedemütigtes Missbrauchsopfer wird zur Furie, zieht dem Prügelehemann eins mit der Bratpfanne über.
Ein Computer begeisterter Teenager fühlt sich unsterblich und springt in den Tod.
Eine zurückhaltende junge Frau verwandelt sich in einen Vamp und bringt sich und ihren Chef in große Schwierigkeiten.

Sie alle hatten nicht etwa bewusstseinserweiternden Drogen zu sich genommen, sondern lediglich eine Begegnung mit jenem Spinnentier, das Millionen von Erwachsenen, Kindern und Säugetieren jeden Sommer großen Verdruss bereitet: Einer Zecke.
Wie lästig diese Viecher sein können, ist jedem bekannt, der regelmäßig nach einem Aufenthalt in der freien Natur - sei es ein Gang durch die Felder oder auch nur der Verbleib im heimischen Garten - Kniekehlen, Haaransatz, Leistenbeuge und die Haut hinter den Ohren seiner Kinder nach den parasitischen Milben durchsucht hat.
Doch die Zecken, die Autor Jürgen Kehrer in seinem fulminanten Wissenschaftsthriller auf die Menschheit loslässt, sind anders. Sie fungieren nicht als Träger von Borreliose oder Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME), sondern lösen etwas noch viel Gravierenderes, weil zunächst nicht als Krankheit Erkennbares aus: Wahnvorstellungen, Selbstüberschätzung, Hemmungslosigkeit.

Eine geniale Idee, Science Fiction verdächtig, wenn, ja wenn sich der für seine unterhaltsamen Münsteraner Krimis bekannte Kehrer nicht auf tatsächliche Forschungsprojekte gestützt hätte, in deren Zentrum gezielt herbeigeführte Gen-Mutationen stehen.
Wie die Wissenschaftler dabei vorgehen, welche Rolle die sogenannten "Knock-out-Mäuse" dabei spielen, schildert er ausführlich und gut nachvollziehbar (und so spannend, dass allein diese Lektüre schon den Erwerb des Buches rechtfertigt), während er sein ungleiches Protagonisten-Paar auf Ermittlungsreise schickt.

Dabei wirkt die schöne Viola de Monti auf den ersten Blick gar nicht wie eine verschrobene Wissenschaftlerin - doch schnell wird klar, dass sie unter schlimmen Panikattacken leidet und absolut nicht in der Lage ist, ihren Mitmenschen freundlich oder auch nur höflich zu begegnen. Das Einzige, was die Phobikerin wirklich interessiert, ist ihre Arbeit, bei der sie sich von nichts und niemandem beirren lässt.

Kein Wunder also, dass sie den von ganz oben verordneten Forschungsstopp nicht akzeptiert und alles daran setzt, das geheimnisvolle Virus zu entschlüsseln und seinen Urheber zu finden.

Womit sie dann doch zu Polizist Martin Geis passt, der ebenfalls ein Getriebener ist. Degradiert und auf der Nordseeinsel Norderney ruhig gestellt, weil er dienstliche und private Probleme vermischte, leckt er Blut, nachdem sich mehrere Fälle von unerklärlichen Verhaltensänderungen direkt vor seinen Augen ereignet haben.
Auch er lässt sich nicht ausbremsen, selbst dann nicht, als er gezielt provoziert wird.

Wie die beiden - ihren (legalen) Verfolgern immer einen Schritt voraus - sich auf die Suche nach dem Ursprung der Infektionen machen, das ist ganz großes Krimi-Kino.
Wie sie sich dabei ein ums andere Mal aufeinanderzu- und dann ganz schnell wieder voneinanderwegbewegen, das gibt dem Ganzen eine zusätzliche menschliche Ebene und viel Pfiff.
Das Tüpfelchen auf dem "i" schließlich sind die Schilderungen der von politischen Erwägungen und Schachzügen gesteuerten Eingriffe in das Verhalten von Polizei und Gesundheitsbehörden, von denen man sich wünscht, sie wären pure Fiktion und dabei doch ahnt, dass solche Szenarien zumindest nicht undenkbar sind.

Zusätzliche Brisanz gewinnt der Roman durch die aktuellen Ereignisse.
Die Furcht vor einer Pandemie ist nichts Neues dieser Tage.
Hin und her und her und hin gehen die Meinungen zum Thema "Impfung" - selbst aus berufenem Mund, im Kreis der Ärzteschaft, ist man sich noch längst nicht einig darüber, was nun im Endeffekt gefährlicher ist - das Virus oder die Impfung ...
Und natürlich werden auch immer wieder Verschwörungstheorien laut, die entweder die Pharmaindustrie oder die Geheimdienste unterschiedlicher Großmächte für die Verbreitung der "Neuen Grippe" verantwortlich machen.
Beunruhigend ist in diesem Zusammenhang vor allem die Tatsache, dass rein theoretisch - wie der vorliegende Thriller sehr schlüssig aufzeigt - die gezielte Infektion eines breiten Teils der Bevölkerung mit zu Biowaffen mutierten Parasiten kein Ding der Unmöglichkeit wäre ...

Alles in allem ein ausgesprochen beeindruckender, packender Roman, der eindrucksvoll beweist, dass der "geistige Vater des Buch- und TV-Helden Wilsberg" noch ganz andere Dinge kann, als seinen kauzigen Privatdetektiv auf Ermittlungsjagd zu schicken.
"Fürchte dich nicht" ist spannende Unterhaltung mit Tiefgang von der ersten bis zur letzten Seite - allerdings mit den bekannten Risiken und Nebenwirkungen:
Denn einmal am Ende der Geschichte angelangt, möchte man mehr, viel mehr Thriller aus der Feder von Jürgen Kehrer lesen!

Miss Sophie