Das Buch direkt bei Amazon bestellen Volker Kutscher
Der nasse Fisch

(1. Band Gereon Rath)
Kiepenheuer & Witsch TB
ISBN 978-3-462-04022-7

Volker Kutscher lässt das Berlin des Jahres 1929 lebendig werden.
Sein Held Gereon Rath erlebt eine Stadt im Rausch. Kokain, illegale Nachtclubs, politische Straßenschlachten - ein Tanz auf dem Vulkan.
Der junge, ehrgeizige Kommissar, neu in der Stadt und abgestellt beim Sittendezernat, schaltet sich ungefragt in Ermittlungen der Mordkommission ein - und ahnt nicht, dass er in ein Wespennest gestoßen hat.

Rezension:
Die Eingangsszene lässt keine Zweifel darüber aufkommen, dass dieser Roman nichts für Häkelschwestern ist: Dem namenlosen Opfer, das in einem Keller buchstäblich "in den Seilen" hängt, wurden mit einem Hammer Hände und Füße zertrümmert, was nun folgen soll, lässt sich nur erahnen ...

Schnitt:
Ein Rheinländer im Berlin des Jahres 1929 - und dann auch noch von der Sitte ... ungebetener könnte ein Mann unter den uniformierten Kollegen nicht sein als dieser Gereon Rath, der sich erst vier Wochen in der Hauptstadt aufhält und nach seiner steilen Karriere bei der Kölner Mordkommission nun für Nachtclubs, Zuhälter und Pornographie zuständig ist.
Sein Chef, Kriminalrat Lanke, regiert mit harter Hand und macht kein Hehl daraus, dass er den Günstling des Polizeipräsidenten nicht leiden kann.
Auch sonst geht es nicht zimperlich zu auf den Straßen von Berlin: Raths bulliger Kollege lässt gern mal die Fäuste sprechen, wenn er einen Informanten rekrutiert.

Es hat den Dreißigjährigen nicht grundlos in die Hauptstadt verschlagen:
Zwar hat ihn der Richter im Zusammenhang mit dem tödlichen Schuss, den er im Dienst auf einen jungen Delinquenten abgab, freigesprochen - nicht jedoch dessen Vater, der als einflussreicher Verleger eine große Hetzkampagne gegen Rath und seinen Vater (einen hochdekorierten Beamten, ebenfalls im Polizeidienst tätig) startete.

So ist Rath einerseits nicht unfroh, sich zunächst einmal bedeckt halten zu können, indem er sich mit einem Fall von Pornobildern beschäftigt, der seine Pikanterie dadurch erhält, dass die Darsteller als Doubles hochgestellte Adeliger und Politiker agieren.
Andererseits ist er Kriminaler mit Leib und Seele und wünscht sich nichts mehr, als wieder im Morddezernat eingesetzt zu werden.
Zumal es da einen spektakulären "nassen Fisch" gibt, einen unaufgeklärten Fall, in dem er durch Zufall auf wichtige Hinweise stößt, die er aber nicht mit den ermittelnden Beamten teilt.
Stattdessen zieht er auf eigene Faust los in einer Stadt, in der es brodelt, weil die Konflikte zwischen Nazis und Kommunisten immer augenscheinlicher werden und weil die Polizei, in dem sie meint, bei den Kundgebungen hart durchgreifen zu müssen, in diesem "Blutmai" mehr Unheil anrichtet als die Dinge wieder ins Lot zu bringen.

Der bei einer gestrengen Wirtin im möblierte Zimmer wohnende Rath ist durchaus sympathisch - aber nicht fehlerlos.
Sein Ehrgeiz, es den blasierten Kollegen einmal richtig zeigen zu wollen, bringt ihn mehrfach dazu, übers Ziel hinauszuschießen, sich und andere in Gefahr zu bringen und schließlich in richtig großen Schwierigkeiten zu landen.

Es geht um Geld und Macht. Russen, Kommunisten und "Völkische". Drogen, Sex und Waffen. Politik und Korruption. Grausame Verbrechen und den Ehrenkodex der "Ringvereine" - nach außen hin gegründet, um Ex-Gefangenen die Resozialisierung zu erleichtern, in Wirklichkeit aber nichts anderes als nach Bezirken und Tätigkeitsfeldern aufgegliederte Unterwelt-Organisationen.

Auch die Liebe kommt nicht zu kurz als Gereon die schöne Charlotte trifft, Jurastudentin und im Brotberuf Stenotypistin der Mordermittler und von ihrem brummigen Chef gern auch als Kriminalassistentin eingesetzt.

Die Handlung ist durch und durch spannend - die Figuren ausgesprochen vielschichtig. Man möchte ihn mögen, diesen Gereon mit der schwierigen Vater-Sohn-Beziehung, dessen diversen Verfehlungen groß sind - aber doch irgendwie nachvollziehbar. Darum bangt der Leser immer wieder mit ihm, ob sich der Kettenraucher der Schlinge, die sich immer enger um seinen Hals zieht, wohl noch entziehen kann.
"Der nasse Fisch" ist aber mehr als ein packender Roman - er ist ein Sittengemälde und pointierter Blick auf eine Epoche, in der ganz andere Werte im Vordergrund standen, als sie es heute tun. Pflichterfüllung, unbedingter Gehorsam, Obrigkeitsdenken auf der einen, Vetternwirtschaft, Geld als Maß aller Dinge, Vertuschung all dessen, was den Status Quo des existierenden Machtgefüges gefährden könnte, auf der anderen Seite.
Vor allem aber sorgt "Der nasse Fisch" dafür, dass man mehr lesen möchte über diesen unangepassten, starrköpfigen, aber tief drin doch vor allem gerechtigkeitsliebenden Gereon Rath.

Miss Sophie