Das Buch direkt bei Amazon bestellen Volker Kutscher
Der stumme Tod

(2. Band Gereon Rath)
Kiepenheuer & Witsch gebunden
ISBN 978-3-462-04074-6

März 1930:
Die gefeierte Schauspielerin Betty Winter wird bei Dreharbeiten zu einem Tonfilm von einem Scheinwerfer erschlagen, und zunächst sieht alles nach einem Unfall aus.
Bis Gereon Rath, der Kölner Kommissar in der Berliner Mordinspektion, Indizien entdeckt, die auf Mord hindeuten.
Während die Kollegen den flüchtigen Beleuchter verdächtigen, ermittelt Rath auf eigene Faust in eine andere Richtung - und steht schnell alleine da.
Eine zweite Schauspielerin wird tot aufgefunden und gibt der Polizei Rätsel auf. Die Todesursache ist unklar, aber es handelt sich um ein Gewaltverbrechen: Der Leiche fehlen die Stimmbänder.
Die Ermittlungen führen Rath zwischen die Fronten rivalisierender Filmproduzenten, ins Berliner Chinesenviertel, in die Unterwelt - und hart an die Grenzen der Legalität.
Während es bei der Beerdigung von Horst Wessel zu einer Straßenschlacht zwischen Nazis und Kommunisten kommt, muss Rath seinem Vorgesetzten Böhm aus dem Weg gehen, der ihn von dem Fall abziehen will.
Als sein Vater ihn bittet, dem Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer in einem Erpressungsfall zu helfen, und seine Exfreundin Charly eine erneute Annäherung wagt, droht Rath alles über den Kopf zu wachsen.

Rezension:
Kaum hat Gereon Rath seine ersten Monate in Berlin hinter sich gebracht und den ersehnten Wechsel von der Sitte ins Morddezernat geschafft, ist der Dreißigjährige wieder in Schwierigkeiten:

Oberkommissar Böhm, genannt auch "die Bulldogge", der den Rheinländer Rath ob seines unkollegialen Verhaltens im Fall der getöteten Russen sowieso auf dem Kieker hat, wird temporär mit der Gesamtleitung der Abteilung betraut und nutzt die Gelegenheit, seinem jungen Rivalen nur die undankbaren Routinearbeiten zuzuweisen. Selbstmorde etwa oder die Überwachung von Auseinandersetzungen zwischen Kommunisten und Nazis.

Auch privat sieht es für Rath nicht viel rosiger aus: Nach dem Fiasko mit der Frau, die ihn himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt gemacht hat, steckt er nun mitten in einer lieblosen Liebschaft mit einer Silvesterbekannten, die er sich aber nicht zu beenden traut.

Dann allerdings wird es auf einen Schlag wieder turbulent in Gereons Leben:
Der spektakuläre Tod einer Schauspielerin bringt ihn wieder mit jenem Produzenten zusammen, der schon einmal unter sehr dubiosen Umständen seinen Weg gekreuzt hatte. Dieser nun beauftragt den Kommissar mit der Suche nach einer jungen Aktrice - ein Nebenjob, den Rath natürlich vor seinen Vorgesetzten geheim hält, bis die Umstände ein Enthüllen der Wahrheit unumgänglich machen, was ihm fast das Genick bricht.

Auch sonst lassen den Dreißigjährigen die Gespenster der Vergangenheit, die gro0e Schuld, die er auf sich geladen hat und für die es keine Absolution gibt, nicht in Ruhe: Er trinkt zu viel und schläft zu wenig.
Dennoch wird er teilweise gerade durch die Menschen unterstützt, die er in seiner schwierigsten Zeit kennen gelernt hatte: Den Journalisten Weinert und den geheimnisvollen Unterweltboss Dr. M.
Selbst innerhalb des Kommissariats gibt es nun Kollegen, die zu ihm halten und ihn decken, bis hin zu Sekretärin Erika Voss, die nicht nur findiger ist, als Rath zunächst glaubte, sondern auch über entscheidende Verbindungen verfügt.

Die Handlung selbst ist spannend, obwohl - oder gerade weil? - der Leser sehr früh ahnt, welches Motiv der Täter hat und um wen es sich handelt.
Viel spannender ist jedoch, mitzuerleben, wie Gereon Rath sich gegen alle Widerstände bis zur Lösung durchbeißt, zwei Schritte vor macht, um dann wieder drei zurück gehen zu müssen.

Dieser Held ist unbeherrscht, aufsässig, eigensinnig, lässt sich gerne mal provozieren - dennoch mag man ihn, lässt sich von seinem Ermittlungseifer anstecken oder möchte ihm anerkennend auf die Schulter klopfen, wenn er den schleimigen Kollegen für seine unverschämten Reden zu Boden schlägt.
Auf der einen Seite ist der Kölner ein Einzelgänger, wie er im Buche steht - was ihn zum Ende hin in eine ausgesprochen lebensbedrohliche Situation bringt. Andererseits sehnt er sich verzweifelt nach Familie (wie er sie mit seinem dominanten, ausschließlich aufs Ansehen und die eigene Einflussnahme bedachten Vater, der sich permanent unterordnenden Mutter und dem aus Verzweiflung nach Amerika ausgewanderten Bruder nicht erfährt), nach Kameradschaft und Liebe.
Das alles macht ihn zu einer Figur, die den Leser nicht kalt lässt.

Was darüber hinaus gewaltig zur Faszination des Romans beiträgt ist die Kunst, mit der Autor Kutscher die Atmosphäre dieses Berlins im Frühjahr 1930 lebendig werden lässt.
Die Anfänge der Tonfilmindustrie, der gesellschaftliche Umbruch, die Verlagerung der Industrie, die politischen Strömungen ... - all das wird umso plastischer dadurch, dass echte historische Figuren und Ereignisse Eingang in die Handlung finden (wie etwa der damalige Kölner OB Konrad Adenauer und seine Bestrebungen, die FORD-Werke von Berlin in die Domstadt zu holen).
Das Tüpfelchen auf dem "i" stellen dabei mit Sicherheit die Dialoge dar - mal rheinisch, mal mit deftiger Berliner Schnauze. Dabei wirken selbst witzige Wortgefechte stets authentisch, nie um ihrer Wirkung willen platziert.

Am Ende ist vor allem eins klar:
Die Geschichte des Gereon Rath ist noch lange nicht auserzählt und man kann nur hoffen, dass die weiteren Bände (insgesamt acht soll die Reihe wohl umfassen) nicht allzu lange auf sich warten lassen.

Miss Sophie