Das Buch direkt bei Amazon bestellen Friedrich Ani
Die Tat

(3. Band "Der Seher")
dtv TB
ISBN 978-3-423-21198-7

Eine einfache gelbe Kordel aus Strohseide, bis auf die Farbe identisch mit den Kordeln aus den anderen Mordfällen: Ist die 38-jährige Sonja Piers das dritte Opfer eines Serienmörders, der in der Stadt seit Monaten sein Unwesen treibt?
Jedoch gibt es in der Familie des Opfers ebenfalls Verdächtige, findet Hauptkommissar Max Vogel:
Sowohl der 17-jährige Sohn Benjamin als auch dessen Vater Hannes Piers verstricken sich in Widersprüche.
Als ein Zeuge aussagt, Sonja Piers unmittelbar vor ihrem Tod mit einem Mann gesehen zu haben, schaltet sich der blinde Jonas Vogel ein.
Die Ermittlung nimmt eine vollkommen überraschende Wendung ...

Rezension:
Schon der Prolog ist ein echter Ani:
Die unglaublich überforderte Frau ist unglücklich - was immer sie anpackt, geht irgendwie schief. Dann wird sie umgebracht. Und mit ihrem eigenen Tod ist jede Chance dahin, irgendetwas wieder gerade zu rücken.
Der Mörder vermittelt den Eindruck, unter Zwang gehandelt zu haben - etwas getan zu haben, was (in seinen Augen) erforderlich war. Freude, Befriedigung oder auch nur Genugtuung sind dabei nicht zu spüren und der Leser ahnt: Auch dieser Mensch hat sein Päckchen zu tragen ...

Schnitt.

Am Schauplatz eines weiteren Mordes treffen wir Max Vogel - immer irgendwie im Clinch mit seinem nicht einmal 40jährigen Vorgesetzten, Nachfolger des Vaters aufgrund des unglücklichen Umstandes, dass dieser nach einem Unfall mit nachfolgender Blindheit aus dem aktiven Dienst ausscheiden musste.
Doch nicht nur Ludger Endres hat vom Unglück von Vogel senior profitiert, konnte doch dessen Sohn nur aus diesem Grund ins Kommissariat wechseln, da das Innenministerium keine Familienangehörigen in derselben Abteilung erlaubt.

Der Modus Operandi ist gleich - Tod durch Erdrosseln.
Auch in diesem Fall bleiben fassungslose Angehörige zurück, die es zu trösten und denen es Hoffnung zu geben gilt - die Zuversicht, dass der Täter gefasst und seiner gerechten Strafe zugeführt wird.
Alles nicht leicht für Endres, der sich lieber mit seinem Vorgänger als mit dessen störrischem Sohn bespricht.

Überhaupt hapert es gewaltig an der Kommunikation zwischen allen Beteiligten.
Der Sohn des Opfers verheimlicht etwas vor seinem Vater - und das Verhältnis zwischen der Mutter der getöteten Frau und dem Rest der Familie ist ebenfalls nicht ungetrübt.

Mehr oder weniger linear, teilweise lakonisch, aber extrem schmerzhaft entblößen sich Schicht um Schicht die Menschen. Alle lügen, jeder hat etwas zu verbergen, ist gleichgültig seinen engsten Angehörigen gegenüber.
Das Schlimmste: All dies gilt auch für den Ermittler Jonas Vogel, der allerdings in diesem Band der Reihe weit weniger im Mittelpunkt steht als sonst:
Im Job nennen sie ihn den "Seher", weil er ein untrügliches Gespür für die Dinge hat, die unter der Oberfläche liegen und nicht auf den ersten Blick erkennbar sind. Privat hingegen merkt er nicht - oder will es nicht bemerken - dass seine Frau Esther nur noch körperlich anwesend ist. Ihre Seele hingegen ist völlig kaputt, sie selbst eine Getriebene - der Alkohol, mit dem sie sich betäubt, eine fast zwangsläufige Folge.
Und ihre 28jährige Tochter Katrin fühlt sich innerhalb der eigenen Familie wie eine Fremde, nicht mehr wahrgenommen, eingeengt ...

Das ist das Umfeld, in das Ani seine Protagonisten stellt - mit dem Auftrag, einen Serienmörder zu finden.
Die Hauptfiguren sind teilweise in ihrer Arbeit so brillant, weil sie als private Personen so beeinträchtigt sind wie die, denen sie auf die Schliche kommen sollen.
Seine "Beziehungstaten", bei denen es natürlich zwischen den einzelnen Figuren komplizierte Verflechtungen der unterschiedlichen Art gibt, sind immer auch mehr - ein Spiegel für alle, die von außen zuschauen und sich fragen (lassen) müssen: "Hätte das wohl auch dir passieren können? Zum Opfer zu werden - oder zum Täter?"

Autor Ani sagt im Vorwort über "Die Tat":
"Die durch das Verbrechen aus ihrer Unscheinbarkeit gerissenen Figuren - Opfer, Hinterbliebene, Täter, Polizisten - sind ganz bei sich und bei mir."

Doch am Ende bleibt der Leser und dem wird nichts vergeben, für den wird nichts gut. So viele sind beschädigt, durch das was passierte, durch die Worte, die gefallen sind - aber auch das, was nicht geschah und nicht gesagt wurde.
Es schneit am Ende des Buches.
Und es ist kalt.

Wenn jemand einen tiefen Eindruck hinterlässt, mit dem was er schreibt - und dem, was er weglässt und was für den Leser doch so deutlich ist, als stünde es mit haushohen roten Lettern auf den Seiten - dann ist es Friedrich Ani.

Seine Bücher vergisst man nicht!

Miss Sophie