Das Buch direkt bei Amazon bestellen Scott Westerfeld Andreas Helweg
Leviathan - Die geheime Mission

Originaltitel: Leviathan 1
(1. Band)
Aus dem Englischen von Andreas Helweg
Mit Illustrationen von Keith Thompson
Cbj gebunden
ISBN: 978-3-570-13969-1
(Ab 12 Jahren)

Europa am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Und doch ganz anders, als wir es kennen ...
Prinz Aleksandar, der Sohn des in Sarajevo ermordeten Erzherzogs Franz Ferdinand, ist auf der Flucht. Seine eigenen Leute jagen ihn gnadenlos und plötzlich steht er zwischen allen Parteien. Alles, was ihm bleibt, ist ein "Stormwalker", eine der perfekten neuartigen Lauf- und Kriegs-Maschinen seines Landes.
Doch auch in den Schweizer Alpen ist Alek nicht sicher, als dort das britische Luftschiff "Leviathan" landet - eine nie dagewesene Mischung aus Tier und Maschine und das Meisterstück der britischen Armee.
Die "Leviathan" befindet sich auf geheimer Mission ins Osmanische Reich. Mit an Bord: die als Junge getarnte Deryn, der nichts so wichtig ist wie das Fliegen ...
Alek rettet sich an Bord der "Leviathan" und muss mit Deryn gemeinsame Sache machen.

Rezension:
Alek ist ein ganz normaler Junge: Sind die Eltern aus dem Haus, frönt er gern einmal bis spät abends seinem Vergnügen - das in diesem Fall darin besteht, mit Zinnsoldaten eine Schlacht nachzustellen ...

Denn Alek ist nur beinahe ein 15jähriger wie jeder andere: Sein Vater ist Erzherzog Franz Ferdinand und aktueller Regent von Österreich - wenngleich sein Sohn aufgrund der mütterlichen Abstammung weder den Titel noch das Reich mit seinen 50 Millionen Untertanen erben wird, sollte der Vater eines Tages sterben.
Dieser Tag kommt leider viel zu früh: Am 28. Juni 1914 werden Franz Ferdinand und seine Frau Sophie in Sarajewo ermordet.

Dieser Mord hat sich übrigens tatsächlich ereignet, ebenso wie der dadurch ausgelöste große Krieg, der heute als "Erster Weltkrieg" bekannt ist - im Gegensatz zu den von Autor Westerfeld erfundenen Geschehnissen (inklusive des fiktiven Einzelkindes Aleksandar).

Doch weiter: Vom Tod seiner Eltern weiß der Junge zunächst nichts, sondern hält den Ausflug mit Mechanikermeister Otto Klopp und Fechtlehrer Graf Volger für eine nächtliche Übung.
Recht überrascht, aber noch ziemlich gelassen findet er sich also als Steuermann in einem Zyklopen-Sturmläufer wieder, einem Monstrum aus Metall, bestückt mit Kanonen und Sturmgewehren, in dem fünf Mann Besatzung Platz haben.
Kurze Zeit später jedoch muss er der grausamen Wahrheit ins Auge sehen: Nicht nur ist Alek nun Vollwaise, sondern Österreicher und Deutsche trachten ihm nach dem Leben.

Nach und nach erfährt der Leser, dass es nicht nur Konflikte zwischen den unterschiedlichen Nationen gibt, sondern sich auch ihre grundsätzlichen Überzeugungen und Lebensführung drastisch voneinander unterscheiden:

Auf der einen Seite sind da die "Maschinisten", zu denen Völker wie Österreich und Deutschland gehören. Sie glauben an die Kraft der von Menschen geschaffenen Maschinen - die sich von Motoren betrieben kraftvoll und unglaublich schnell zu Wasser, Land und Luft bewegen.

Ihre Gegenspieler nennen sich "Darwinisten" und sind vor allem in England vertreten. Sie leben und arbeiten nicht mit künstlichen Hilfsmitteln, sondern machen sich tierische Züchtungen zunutze, die sie aus den unglaublichsten Kreuzungen selbst "herstellen". Diese basieren im Wesentlichen auf den Erkenntnissen von Darwin, dem der Autor als weiteren Kunstgriff allerdings auch die Entdeckung der DNA und ihrer Bedeutung für jegliche Schöpfung zuschreibt, die sich in Wirklichkeit erst knapp 40 Jahre später zutrug.

Sobald der Leser diese beiden konträren Positionen und alles, was damit zusammenhängt, erfasst hat, kann er sich dem Sog der Geschichte nicht mehr entziehen.

Denn natürlich gibt es auch eine weibliche Hauptfigur, diesmal aus dem Lager der Darwinisten. Deryn ist dem Wunsch zu fliegen von dem Moment an verfallen, seitdem ihr mittlerweile verstorbenen Vater sie zum ersten Mal in einem Heißluftballon mitnahm. Um zur Flieger-Ausbildung zugelassen zu werden, muss sie sich allerdings älter machen als ihre 15 Jahre und außerdem als Junge verkleiden.

Gleich beim ersten Testflug mit einem quallenähnlichen "Huxley" geht alles schief - sie wird abgetrieben und muss aus der Luft gerettet werden: Von einem Fluggerät, das ab diesem Moment ihr Zuhause werden soll.
Die "Leviathan" ist ein gigantischer "Wasserstoffatmer", ein lebendiges Wesen, gezüchtet aus einem Wal und zahlreichen anderen Kreaturen, in dessen Inneren die gesamte Besatzung Platz findet. Seine Fortbewegungsenergie erhält er aus dem von den Tieren an Bord ausgeschiedenen Wasserstoff - und das ist noch nicht das Seltsamste.

Auch die anderen Tierschöpfungen und ihre Eigenschaften sind absolut ungewöhnlich: Da gibt es sprechende Boteneidechsen, sechsbeinige Wasserstoffschnüffler, sowie Fledermäuse, die, mit Eisennägeln gefüttert, durch ihre Ausscheidungen zu tödlichen Waffen werden.
Für alle, die sich mit der Vorstellung über das Aussehen dieser Wesen schwer tun, sind die großartigen Illustrationen von Keith Thompson eine unverzichtbare Hilfe.

Bevor Alek und Deryn sich endlich aber persönlich kennenlernen, passiert noch eine ganze Menge: Beide müssen in schweren kriegerischen Auseinandersetzungen am Boden und in der Luft ihren Mann (bzw. ihr Mädchen) stehen, werden verletzt und entgehen nur um Haaresbreite der Gefangennahme und dem Tod.
Beide Jugendliche verbindet dabei das Unbehagen im Kampf und die Trauer beim Anblick so vieler unschuldiger Menschen und Tiere, die ihr Leben lassen müssen.

Ganz frei können sie sich dabei aber nicht machen von Vorurteilen dem Vertreter der jeweils anderen Lebensphilosophie gegenüber und nur zögerlich erfolgt eine Annäherung - wozu nicht zuletzt eine undurchsichtige englische Wissenschaftlerin beiträgt, die an Bord der Leviathan mit allen Mitteln eine noch viel geheimnisvollere Fracht schützt und verteidigt.

Westerfelds Auftakt einer beeindruckenden Serie ist eine schriftstellerische Meisterleistung:
Geschickt verbindet er reale historische Ereignisse und wissenschaftliche Erkenntnisse mit purer Science Fiction, liefert seinen jungen Leser außerdem auf leicht verständliche Weise eine Lektion in internationaler Politik, ohne dabei den Unterhaltungsfaktor zu vergessen.

Seine Figuren sind sympathisch und liefern großes Identifikationspotential für Jungen und Mädchen.

Alek hält sich wacker, bemüht sich um Haltung und Menschlichkeit, trotzdem seine ganze Welt in wenigen Tagen und Wochen komplett auf den Kopf gestellt wird. Plötzlich muss er permanent um sein Leben flüchten, muss zum Schutz seiner eigenen Person und seiner Verbündeten ständig auf das achten, was er sagt oder tut, Aufgaben übernehmen, für die es in der Vergangenheit stets Personal gab - und dabei den Verlust seiner Eltern verkraften.

Deryn wiederum ist ein Teufelsmädel: Tapfer, stark, unerschrocken, beißt sie sich durch und flucht, wenn es Not tut, um in ihrer Rolle zu bleiben, auch wie ein Kutschknecht. Bei alledem besitzt sie doch eine sehr empfindsame Seite. Sie hat sofort einen Draht zu Tieren und zeichnet mit Vorliebe alles, was sie beschäftigt.

Die Handlung ist durch und durch spannend, die Dialoge witzig, die Szenen ausgesprochen bildgewaltig.
Da gilt es Gefechte in der Luft zu überstehen, sich am Boden gegen eine feindliche Übermacht zur Wehr zu setzen oder die schwer angeschlagenen "Leviathan" in einem wahnsinnigen Wettlauf gegen die Zeit wieder flott zu machen, um den Feinden in letzter Sekunde zu entkommen.

Eine Lektüre, deren Sog sich niemand entziehen kann - egal, ob er (oder sie) sich für Naturwissenschaft und Technik interessiert oder einfach nur gute Abenteuergeschichten liebt.

Miss Sophie