Das Buch direkt bei Amazon bestellen Georg Haderer
Ohnmachtspiele

(2. Band)
Haymon gebunden
ISBN 978-3-85218-630-6

Nebel, Kälte, Innenpolitik ... als ob Major Schäfer nicht schon genug mit seinen Depressionen und Angstzuständen zu kämpfen hätte, treten ihm auch noch der Wiener November und ein reformwütiger Innenminister in die Rippen.
Wie soll Schäfer unter diesen Bedingungen arbeiten - zumal in der Gerichtsmedizin neben zwei ertrunkenen Frauen auch noch die mumifizierte Leiche eines Drogensüchtigen liegt.

Unfall, Unfall, Überdosis, so soll es in den Ermittlungsakten stehen, wenn es nach dem Polizeipräsidenten geht.
Doch dass nicht nur mit dem toten Junkie etwas faul ist, steht für den natursturen Schäfer fest. Ich sehe was, was ihr nicht seht, entgegnet er den Befehlen seiner Vorgesetzten.
Und als sich auch noch ein fast zwanzig Jahre zurückliegender Raubmord in Schäfers Schema fügt, nimmt seine Theorie eines Serientäters immer realere Züge an ...

Rezension:
Am Anfang ist da ein ganzen Haufen trauriger Leute:
Zwei Jungs, die sich trennen müssen, weil die Familie des einen umzieht ...
Ein Kommissar, dessen ausgewachsene Depression mit "Burnout" mehr als untertrieben ist und dem zu Hause so sehr die Decke auf den Kopf fällt, dass er freiwillig zur Arbeit geht.
Außerdem ein schwermütiger Antiquar und eine ganze Reihe Toter mit mehr oder minder betrübten Angehörigen ...

Es gibt Personalengpässe, den üblichen Druck von oben mit der ganz klaren Anweisung, Kosten einzusparen, und gegen die trübe Novemberstimmung hilft auch der Einsatz einer Tageslichtlampe nur bedingt.

Die Gesamtstimmung des Roman spiegelt diese Schwermut recht gut wieder - die ersten Kapitel erinnern in ihrer Bedächtigkeit an die alten Schwarz-Weiß-Filme, die Polizeimajor Schäfer so liebt, weil sie ihm Ablenkung und Schlaf bringen.
Fast dauert den Leser dieser Mann mit seiner zwanzigjährigen Erfahrung, der es richtig machen will und dem doch so oft die Luft ausgeht - in jeder Hinsicht.

Doch dann nimmt der Roman Fahrt auf - und so wie die Eigeninitiative eines jungen Gerichtsmediziners in Schäfer das Feuer des Ermittlungsfiebers neu entfacht, das gerade durch die Weisungen seiner Vorgesetzten, manche Dinge unter den Tisch zu kehren, um die Statistiken zu schönen, noch genährt wird, so wandeln sich auch Stil und Inhalt.

Die Geschichte wird temporeich, die Dialoge entfalten ihren lakonischen Witz, die Szenen werden turbulenter und skurriler.

Schäfer handelt mehrfach politisch äußerst unkorrekt - seine Verhörmethoden sind nicht immer fein, hin und wieder verleiht er seinen Worten durch das Zeigen der Waffe Nachdruck, dann verläuft er sich im Wald, erschießt irrtümlich einen Hund und tut im Suff Dinge, die er besser lassen sollte.
Im Gegenzug halten sich auch die Kollegen nicht zurück, die ihm seine diversen Missgeschicke und Verfehlungen gern und oft in Wort und Bild vor Augen führen.

Man muss ihn einfach mögen, diesen Kerl der am einen Tag für "waschen und schneiden" einem Damenfriseursalon aufsucht, wo er die Gelegenheit zur ausführlichen Lektüre der Regenbogenpresse nutzt, während er sich am nächsten im Nahkampftraining aufgrund mangelnder Deckung ein blaues Auge hauen lässt.

An diesem Punkt hat Autor Haderer den Leser so in seinen Roman hineingezogen, dass dieser die Finger nicht mehr von den Seiten lassen mag - wozu die außerordentlich gelungenen Sprachbilder ihr Übriges beitragen. Etwa wenn er den mit Blaulicht, Martinshorn und 40 km/h im Dienstwagen fahrenden Schäfer als "von Angst erfüllter Entschleuniger" bezeichnet.

Auch die zahlreichen Nebenfiguren sind außerordentlich gut ausgearbeitet - vom Bedenken tragenden Assistenten Bergmann, der aber in einer Notsituation immer zu seinem Chef hält über den alten Gerichtsmediziner Koller oder auch seinen direkten Vorgesetzten Oberst Kamp, mit denen sich Schäfer pointenreiche Wortgefechte liefert, die von tiefer Zuneigung künden bis hin zur 17jährigen Nichte Lisa, die ihren Onkel mit CD-Tipps versorgt und ihn (und die Leser) so dazu bringt, sich die Musik von "Flotation Toy Warning" anzuhören.

Sie alle möchte man möglichst bald wieder einmal treffen - wenn das einhergeht mit einem (oder mehreren) ausgesprochen komplizierten Mordfällen, verschlungenen Ränkespielen innerhalb der Polizei, ein wenig Liebe, lakonischem Humor und Lokalkolorit, dann umso besser.

Miss Sophie