Das Buch direkt bei Amazon bestellen Lucie Flebbe
77 Tage

(4. Band)
Grafit TB
ISBN 978-3-89425-411-7

Die junge Detektivin Lila und ihr Partner Ben Danner sollen herausfinden, ob hinter den ungewöhnlich hohen Todesfallzahlen eines Pflegedienstes mehr steckt als ein Zufall. Sie mischen sich unter das Betreuerteam.
Über ein Blog lernt Lila sehr überraschende Seiten ihrer neuen Kolleginnen kennen. Doch dass eine Mörderin unter ihnen ist, schließt sie aus.
Nicht nur, dass es mit dem Fall nicht richtig vorangeht, erhält Lila Besuch von ihrem Bruder. Und er kommt nicht in friedlicher Absicht …

Rezension:
Lila oder besser gesagt Liliana Cassandra Simanowski-Ziegler ist keine gewöhnliche Zwanzigjährige.
Am Anfang ihrer "Karriere" als Privatdetektivin hat sie einfach die Biege gemacht, Familie und Studienplatz zurückgelassen und ein komplett neues Leben angefangen.
Seit einem guten halben Jahr und drei sehr erfolgreichen großen Ermittlungen ist sie Ben Danners rechte Hand und die Frau in seinem Bett. Eigentlich auch in seinem Herzen, aber das gibt der Bruce-Willis-Typ nicht einmal sich selbst gegenüber zu.

Besonders gut ist die junge Frau als Undercover-Agentin. Egal ob Schulmädchen oder Straßenkind - sie fügt sich harmonisch in die Umgebung der zu beobachtenden Personen ein.
So auch bei ihrem Ausflug ins Milieu der chronisch unterbezahlten und überbelasteten Pflegedienste, wo sie und Danner eine seltsame Häufung von Todesfällen aufklären soll.

Waschen, Mundpflege, Darm- und Blasenentleerung, An- und Auskleiden ... - und alles in unter 30 Minuten. Jeder kleine Plausch mit den oft einsamen alten Menschen geht dabei zu Lasten des nächsten Patienten. Oder mündet in (unbezahlte) Überstunden.
Bei den Einsätzen mit jeweils einer anderen Pflegekraft - die im Prinzip ebenso unter Verdacht stehen wie geldgierige Verwandte oder andere Erben - lernt Lila eine Menge über diesen Beruf und den Umgang mit dementen, alten und/oder pflegebedürftigen Menschen. Und darüber, dass es hier wie überall Männer und Frauen gibt, für die der Verdienst im Vordergrund steht und andere, die mit Herzblut bei der Sache sind. Während andere einfach nur ausgebeutet werden. Kein Wunder also, wenn die Laune in den Keller geht und die Geduld schon vor dem Dienst aufgebraucht ist.

So viel hat die junge Protagonistin in den bisherigen Bänden schon erlebt, dass der Leser glauben möchte, sie schon sein (und ihr) halbes Leben zu kennen.
Auch diesmal taucht sie wieder einmal mitten ein ins pralle Geschehen und wie auch schon in früheren Situationen erinnert sie das, was sie sieht und erlebt, an ihre eigene verkorkste Kindheit und Jugend, geprägt von Gewalt, permanent lauernd hinter der Fassade des respektablen Oberstaatsanwalts.

Kein Wunder also, dass sie sich sowohl der türkischen Kollegin mit dem Hang zum Feminismus als auch der unbekannten "Bella" sehr verbunden fühlt.
Letztere ist, so viel wissen Lila und auch der Leser, eine Pflegekraft mit prolligem Gatten und peinlicher Mutter, die sich in, mal humorvollen, mal entlarvenden Blogposts Luft macht.
Dann spitzt sich die Situation zu - im virtuellen ebenso wie im realen Leben. Es wird brandgefährlich - für mehr als eine Person...

Die Geschichte ist spannend und tragisch zugleich.

Vielfältig sind die möglichen Motive und Ansätze, die den Leser permanent auf diese oder jene Fährte führen und bis zum unerwarteten Ende immer wieder überraschen.

Gleichzeitig haben alle Beteiligten, auch die kleinen Nebenfiguren, ihre verborgenen Leidenschaften und Probleme.
Ob superkorrekte Teamleiterin, empathische Biografie-Arbeiterin, katzenliebende Witwe, alleinerziehende Mutter oder homosexuelle Pfleger. Ganz zu schweigen von den Patienten, die auf die Hilfe angewiesen sind und doch einmal mündige Erwachsene waren mit einem eigenen Leben.

Nicht zu vergessen die Machtmenschen,, die immer wieder den Weg des einen oder der anderen Protagonistin kreuzen: Männer und Frauen, die ihren Angehörigen und Freunden die Luft zum Atmen nehmen, sie herumkommandieren, schikanieren oder Schlimmeres. Ein Teufelskreis, der nicht aufhört, egal, wie viel Zeit vergeht.

Es ist dies im Grunde ja auch Lilas großes Thema - die Angst vor dem Übervater, die sich völlig unerwartet einstellt und ihr in den unpassendsten Momenten den Atem nimmt. Sowie dafür sorgt, dass sie mindestens so beziehungsunfähig ist wie ihr Freund Danner.

Ein Krimi mit Tiefgang und Anspruch - gleichzeitig packend, realitätsnah, und stellenweise sogar ziemlich witzig.
Vor allem aber ein Roman, der den Leser auch am Ende der 256 Seiten noch lange nicht los lässt.

Miss Sophie