Das Buch direkt bei Amazon bestellen Eva Maria Staal Ilja Braun
Die Waffenhändlerin

Original: Probeer het mortuarium
Aus dem Niederländischen von Ilja Braun
Arche Literatur Verlag gebunden
ISBN 978-3-7160-2688-5

»We sell freedom« – so lautet der Slogan von Maria und von Jimmy Liu. Die beiden sind Global Player des internationalen Waffenhandels. Zusammen verdienen sie Millionen, mit denen Jimmy jedoch immer häufiger rauschhafte Kasino-Abende und den Unterhalt seines jungen Geliebten finanziert.
Zunächst hält Maria ihrem Boss den Rücken frei, fragt sich jedoch bald, warum und für wen sie immer wieder in den Krisenherden dieser Welt ihr Leben aufs Spiel setzt.

Rezension:
Es ist ein Sachbuch – und doch liest sich der 250-Seiter, der mit seinem verspielten Cover daherkommt wie ein heiterer Frauenroman, packender als viele Krimis und schon am Ende des ersten Kapitels ist sonnenklar, warum dieser Titel den „Schaduwprijs“ als bestes Spannungs-Debüt bekam.

Denn einerseits liefert „Die Waffenhändlerin“ Einblick in eine Welt, die ebenso unbekannt wie unheimlich und dabei zuweilen unglaublich banal ist – trotz, oder gerade weil es um unvorstellbar hohe Einsätze geht. Monetärer wie persönlicher Art.

Andererseits weisen die kurzen und langen Kapitel, Rückblenden und fein säuberlich ausgearbeitete Nebenstränge, eine literarische Qualität und einen Sog auf, dem sich der Leser praktisch nicht entziehen kann.

In kleinen Episoden berichtet Maria von ihrem Leben als Assistentin eines Waffenhändlers – Kanadier chinesischer Abstammung, ein hässlicher Mann, dabei ausgesprochen überzeugend und mit besten Verbindungen. Überall auf der Welt.

Es sind Geschichten, die sich lesen wie aus 1001 Alptraum-Nacht.

Sie berichten von mal zum Zwecke der Familienzusammenführung und mal aus Profitgründen aus China und Belutschistan geschmuggelten Kindern.
Von korrupten Polizeioffizieren in Simbabwe, die sich ihren Einsatz in Form von Studiengebühren und Autos für ihren Nachwuchs bezahlen lassen.
Von einem Leben, in dem es gilt auf Zuruf innerhalb von zwei Stunden nach Afrika zu fliegen und bei Bedarf irgendwo auf der Welt Rattenfleisch, Fledermäuse und Affen zu essen, um einen potentiellen Kunden nicht vor den Kopf zu stoßen.
Von Büros in Bestlage in Amsterdam, Hongkong, Peking, Karatschi und Harare.
Von Arbeitseinsätzen in China, Tschetschenien, Pakistan.
Vom Handel mit Nuklearwaffen, Panzern, Raketen, sowie Gewehren aller Art.
Vom Ginger-Ale, das Maria, die toughe weiße Frau, immer dann vom eingeweihten Kellner bekommt, wenn ihr hochrangiger Verhandlungspartner Whiskey bestellt.
Von den Lustknaben, die den Chef ausnehmen, ihn in einer Woche um sieben Millionen Dollar erleichtern.
Von Gewalt, Überfällen auf offener Straße, Blut und Vernichtung, und einer Menge Dinge, über die man nicht wirklich lesen möchte.
Nicht, wenn man sich vor Augen hält, dass das alles angeblich wirklich passiert ist.
Und noch passiert – irgendwo auf der Welt.

All diesem Schmutz – aber auch dem Luxus und der Verschwendung – stellt Maria ihr neues Leben gegenüber.
Die Zeit „danach“.
In der sie, durch den Ausstieg, nurmehr als Hausfrau und Mutter agiert. Im Versuch, die neunjährige Tochter zu einem rechtschaffenen Menschen zu erziehen, frei von Grausamkeit, wie sie Kinder (was jeder weiß, der solche hat) schnell einmal an den Tag legen.

So wechselt die Ich-Erzählerin permanent hin und her und entlässt den Leser doch nie komplett aus dem latenten Grauen, das hinter all den locker aneinander gereihten Erzählungen lauert.
Und selbst dort bleibt die Gefühlsachterbahn beständig erhalten – mitten in den skrupellosesten Geschäften zeigt der Waffenhändler eine Regung von Mitleid, will seine junge Assistentin vor dem Anblick von grausam zu Tode gekommenen Zivilisten in Tschetschenien bewahren.

Erstaunlicherweise sind es aber eben nicht die blutrünstigen Details, die dem Leser die größten Beklemmungen verursachen, sondern Schilderungen wie diese:
In Situationen, in denen andere schon längst durchgedreht wären, reagiert Maria zunächst besonnen und tut, was getan werden muss, bevor sie ein-, zwei-, vier-, sechsmal bei sich zu Hause anruft, um zur Beruhigung und für eine Rückkehr zur Normalität ihre eigene Stimme auf dem Anrufbeantworter zu hören.
Wie isoliert muss ein Mensch sein, der solches tut?
Und wie groß die Not, die ihn (oder besser „sie“) dazu bringt?

Am Ende hat der Leser eine Frau kennengelernt, die perfekt schießen und kickboxen kann, sich mit chemischen Kampfstoffen ebenso auskennt wie mit Nuklearwaffen, Bilanzen und Machbarkeitsstudien für Öl-Pipelines.
Und er hat erfahren, dass ein Waffenhändler längst nicht nur Waffen aller Art an den Mann / die Frau bringt, sondern als Vermittler allerhand Deals mit Kriegsfürsten und kriminellen Großverdienern abwickelt.

Faszinierend, verstörend, vor allem aber durch und durch lesenswert.

Miss Sophie