Das Buch direkt bei Amazon bestellen Lars Kepler Paul Berf
Der Hypnotiseur

(1. Band Joona Linna)
Original: Hypnotisören
Übersetzung aus dem Schwedischen von Paul Berf
Lübbe gebunden
ISBN: 978-3-7857-2426-2

Vor den Toren Stockholms wird an einem Sportplatz die Leiche eines brutal ermordeten Mannes entdeckt. Kurz darauf werden Frau und Tochter ebenso bestialisch getötet aufgefunden. Offenbar wollte der Täter die ganze Familie auslöschen. Doch der Sohn überlebt schwer verletzt.
Als Kriminalkommissar Joona Linna erfährt, dass es ein weiteres Familienmitglied gibt, eine Schwester, wird ihm klar, dass er sie vor dem Mörder finden muss.
Er setzt sich mit dem Arzt und Hypnotiseur Erik Maria Bark in Verbindung. Er will, dass Bark den kaum ansprechbaren Jungen unter Hypnose verhört.
Bark hatte sich jedoch wegen eines traumatischen Erlebnisses geschworen, niemals mehr zu hypnotisieren. Aber es geht hier um ein Menschenleben.
Es gelingt ihm schließlich, den Jungen zum Sprechen zu bringen. Was er dabei erfährt, lässt ihm das Herz gefrieren ...

Rezension:
Der Anfang des Romans ist so spannend wie grauenvoll:
Eine ganze Familie, bestialisch abgeschlachtet, so stark verstümmelt, dass selbst die auffindenden Polizisten psychologische Betreuung benötigen.

Der einzige Lichtblick, mitten in dieser schrecklichen Situation:
Es gibt einen Überlebenden.
Josef, einen 15jährigen Teenager, der jedoch ob seiner schweren Verletzungen nicht vernehmungsfähig ist.
Der einzige Ausweg in dieser Situation scheint Hypnose zu sein – und der einzige Mensch, der diese durchführen könnte, befindet selbst in einer schweren persönlichen Krise.

Das ist die Ausgangssituation wie sie sich den Beteiligten, aber auch dem Leser darbietet.
In Vor- und Rückblenden lernt er dann die handelnden Personen kennen – manche besser, als ihm am Ende lieb wäre...

Da ist zunächst Kriminalkommissar Joona Linna.
Er ist derjenige, der sich in den Fall verbeißt, das Offensichtliche ein- ums andere Mal nicht einfach akzeptieren will, mehr als einmal Recht hat – auch mit seinen Intuitionen – und tragischerweise ein ums andere Mal diesen einen, winzigen Moment zu spät kommt, um das Schlimmste zu verhindern.
Dass der Finne, dessen Privatleben unter seiner Arbeitssituation gewaltig leidet, dennoch nicht daran zerbricht, sondern unbeirrt der blutigen Spur folgt, das macht ihn so sympathisch.

Aber auch Erik Maria Bark ist ein Typ, den der Leser – und vor allem die Leserin – einfach ins Herz schließen muss:
Seit einem Seitensprung ist seine Ehe zerrüttet und sein Medikamentenkonsum legendär.
Doch schnell wird klar, dass er eigentlich immer das Gute beabsichtigte, in manche Situationen einfach hineinschlidderte, nie bewusst Menschen manipuliert, belogen oder gar benutzt hat.

Und doch steht er von allen Seiten unter Beschuss, muss sich permanent rechtfertigen, macht ihm Simone, seine Ehefrau, eine Künstlerin, im Alltag das Leben schwer.

Das ist ohnehin nicht leicht, ist doch Ex-Polizist Kennet, Simones Vater, nicht gut auf Erik zu sprechen.
Außerdem gibt es auch noch Benjamin, den rebellischen Teenager-Sohn. Der Junge ist Bluter und macht sich trotz seiner Schwäche stark für seine Freunde und vor allem seine Freundin Aida, die alles andere als Mainstream ist, mit ihren Tätowierungen, den schwierigen Familienverhältnissen und den dubiosen Kreisen, in denen sie sich bewegt.
Wie jeder Jugendliche in diesem Alter findet er seine Eltern peinlich, ihre Streitereien unerträglich und hat jede Menge Geheimnisse vor den Erwachsenen.

Die Wege all dieser Personen und noch einer Reihe weiterer Figuren kreuzen und verflechten sich immer mehr, während die Polizei und der Hypnotiseur versuchen, dem schrecklichen Rätsel rund um die Ermordung der Familie Ek auf den Grund zu gehen.

Der Roman ist wahrlich nichts für Leser mit schwachen Nerven.
Die Spannung steigert sich kontinuierlich, während der permanente Wechsel der Erzählebenen das Ganze anfangs verwirrend, dann aber ausgesprochen lebendig macht.

Die Anzahl der zerrütteten Familien in diesem Buch ist erschreckend hoch – unter praktisch jedem Dach verbergen sich Abgründe, das Verhalten vieler Charaktere, bis hin in die Nebenfiguren, ist ganz häufig durch das Schicksal bestimmt, ihr Verhalten nicht absichtlich böse – was die damit verbundene Gewalt keinesfalls besser macht, aber doch oft erklärt.

Ein wenig beleuchtet „Der Hypnotiseur“ auch die mit eben diesem Beruf – sofern er mit einem medizinischen Hintergrund ausgeübt wird – verbundene Verantwortung. Was da alles an vergangenen Schmerzen, erlittenem Unrecht, zutage tritt, ist erschütternd. Wie viel davon allerdings der objektiven Wahrheit im Unterschied zum subjektiven Empfinden der Personen geschuldet ist, das gilt es von fachkundigen Spezialisten zu interpretieren und entsprechend nachzubereiten.

Alles in allem handelt es sich um ein großartiges Buch mit zahlreichen völlig unerwarteten Wendungen, das die Leserschaft förmlich durch die 640 Seiten peitscht.

Kein Wunder also, dass sich Starregisseur Lasse Hallström (dessen Werk so unterschiedliche Filme umfasst wie unter anderem „ABBA: Der Film“, „Gilbert Grape – Irgendwo in Iowa“, „Chocolat“ - für den er wie schon für „Mein Leben als Hund“ und „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ eine Oscar-Nominierung bekam, oder „Lachsfischen im Jemen“) des Stoffes angenommen hat.
Das Erstaunliche dabei: Obwohl einige Handlungsstränge komplett entfielen und wesentliche andere verändert wurden, ist das Endprodukt doch nach wie vor absolut stimmig.
Und sorgt dafür, dass man sowohl das Buch lesen als auch den Film sehen kann (in beliebiger Reihenfolge) UND dennoch Überraschungen erlebt.

Sehr sehr empfehlenswert!

Miss Sophie