Das Buch direkt bei Amazon bestellen Stephan Ludwig
Zorn - Vom Lieben und Sterben

(2. Band)
Fischer TB
ISBN: 978-3-596-19507-7
»das, was geschehen ist, war erst der anfang, es ist noch nicht vorbei – langsam beginnt es, spaß zu machen, ihr seid so lächerlich, so unglaublich dumm und ihr seid mir nicht gewachsen. ich bin noch nicht fertig. denkt das bloß nicht.«

Hauptkommissar Claudius Zorn und Hauptkommissar Schröder müssen sich mit einer Einbruchserie in der städtischen Kleingartenanlage herumschlagen. Der Fall ist schnell geklärt, eine Clique von Jugendlichen hat die Einbrüche aus Langeweile begangen.
Doch dann ist ein Junge aus der Clique tot. Er war gerade einmal 18 und wurde kaltblütig ermordet. Als ein Freund des Opfers, auch er Teil der Clique, stirbt, ist Zorn genervt – ein Mord pro Woche hätte auch genügt!
Aber genau wie Schröder ist ihm sofort klar, dass hier jemand gezielt und durchdacht vorgeht, seine Opfer ganz genau auswählt. Sie vielleicht sogar kennt.
Als es endlich eine erste vage Spur gibt, ist die Zeit bis zum nächsten Mord bereits abgelaufen.
Und Zorn kann sich einfach keinen Reim darauf machen, weshalb Schröder sich plötzlich so merkwürdig verhält …

Rezension:
Nach seinem ersten, wirklich haarsträubenden Fall, der nichts, aber auch gar nichts ausgelassen hat (widerwärtig zu Tode gefolterte Menschen, Täter, die auch Opfer waren, herbe Verluste in den eigenen Reihen, sowie zumindest eine unglückliche Liebesbeziehung), ist Zorn wieder da, wo er vorher war:
Er langweilt sich.
Weil absolut nichts passiert in seinem kleinen Ort, der nicht näher bestimmt wird – nur dass er im Osten liegt, erfährt der Leser.

Sein Partner hat sich zum Glück erholt und gleich als er aus dem Krankenstand zurückkehrt, geht es wieder zur Sache: Erst ein Mord (auch der mit äußerst widerwärtiger Methode – nur soviel: Beteiligt sind ein Metalldraht, ein Fahrrad, das mit Höchstgeschwindigkeit einen Berg hinuntersaust und ein junger Mann, dessen Hals die Interaktion der beiden ersten Komponenten gar nicht gut bekommen ist), dann ein Leberhaken auf einem Supermarktparkplatz – aus heiterem Himmel, aber sehr präzise und wirkungsvoll platziert.

Dieses Buch ist gruselig und schrecklich und blutig.
Und steckt doch voller Kontraste – die fast slapstickartigen Szenen auf der einen und die zutiefst verstörenden Taten auf der anderen Seite.
Doch kann sich der Leser dem Sog der Handlung nicht entziehen, kann nicht aufhören, eine um die andere Seite zu verschlingen – es ist wie eine Droge, du willst, musst weiterlesen.

Dann schleicht sich immer wieder eine gewisse Leichtigkeit ein – und wird sofort von düsteren, unverständlichen Untertönen konterkariert.
Die beiden beinahe gleichaltrigen Ermittler bilden ein ungleiches Paar, faszinierend genau durch die Diskrepanz zwischen dem, was man erwartet und in der Interaktion der beiden tatsächlich erhält.

Dabei erinnert Zorn an Schimanski:
Lieber ein Lungenbrötchen zum Frühstück als ein Stück gesundes Obst … hat einen Handy-Ton, der ihm nicht gefällt, den er aber nicht ändern kann … sieht fast nix, ist aber zu Eitel für eine Brille … setzt sich gern in Szene, hat aber keine überragende Kondition … bringt sich in Situationen, über die man als Leser lachen und gleichzeitig davon peinlich berührt sein möchte.
Allerdings ist er kein Schlägertyp, sondern wehrt sich selbst dann nicht, wenn er angegriffen wird.

Der feinsinnige Schröder hingegen ist das genaue Gegenteil:
Er erkennt ein Kunstwerk, wenn er es sieht, steht auf klassische Musik und liest Kant (zum dritten Mal), ist ein wandelndes Lexikon, dabei dennoch technisch versiert und vor allem: Immer geduldig, immer verständnisvoll – so sehr, dass man ihn manchmal fast schütteln möchte!

Gemeinsam geben sie der Reihe ein Gesicht, ohne dabei den Fall zu vernachlässigen.
Der schlimm genug ist, fallen doch immer mehr Jugendlichen einem grauenvollen Täter zum Opfer, was die Polizei nicht verhindern kann, weil die Teenager wesentliche Informationen für sich behalten.

Es gibt falsche Fährten zuhauf und immer, wenn keine Steigerung mehr möglich scheint, setzt der Autor noch eins drauf, katapultiert Figuren und Leser in eine weitere Szene voller fast unerträglicher Spannung.
Dabei schont er niemanden, zwingt auch seine Protagonisten, sich nackt und demütig zu machen, ihre Verletzungen und Schwächen zu offenbaren.
Das berührt – und bleibt.
Auch wenn der Fall als solcher längst abgeschlossen ist.
Happy End geht anders – und doch gibt es am Schluss einen Schuss Hoffnung.
Etwa darauf, dass es das was unausgesprochen immer im Raum stand, zu einer Basis für eine Freundschaft auf Augenhöhe werden kann.

Fazit: Nichts für empfindsame Gemüter - aber sensationell gut.

Miss Sophie