Das Buch direkt bei Amazon bestellen Friedrich Ani
Süden und die Stimme der Angst

(14. Band)
(bereits früher erschienen unter dem Titel "Verzeihen")
Knaur TB
ISBN 978-3-426-51363-7

Ariane, 36 Jahre, eine ehemalige Prostituierte, eröffnet ein Lokal. Kaum hat sie sich in ihrer bürgerlichen Existenz eingelebt, erfährt sie, dass sie HIV-positiv ist.
Niklas Schilff, 39 Jahre, ist Reporter und zählt zu den begehrtesten Berichterstattern in Los Angeles. So lange, bis er beginnt, Fakten und Fiktion zu vermischen. Desillusioniert und psychisch krank, kehrt er nach Deutschland zurück.
In einer Nacht treffen sie aufeinander.

Rezension:
Hochgelobt und mit Preisen überschüttet, so kennt man den (Drehbuch)autor Ani, der mit seinen Geschichten schon lange die Grenzen des "herkömmlichen Krimis" sprengt.
Literarisch dichte Erzählweise unter Beibehaltung aller Elementen des klassischen Hard-boiled hat man ihm bescheinigt - und das zu Recht.
Für manch anderen sind Anis Werke zuallererst Schilderungen, die überwiegend um kaputte, einsame, zutiefst verstörte, aber gleichzeitig unendlich brutale Menschen kreisen - und auch das ist nicht falsch.
So viel Gewalt steckt auf diesen Seiten, zwischen den Zeilen, hinter und in den Figuren, dass es dem Leser streckenweise fast den Atem nehmen möchte - und doch bleibt er "dran", gefesselt von dem, was, wie er weiß, noch alles passieren wird.
Das alles, wohlgemerkt, obwohl die Handlung selbst sich in einem Milieu und unter Umständen abspielt, die den meisten fremd sein werden und dennoch so packend geschildert sind, dass sie berühren, nicht zulassen, dass der Leser "außen vor" bleibt.
Dabei befinden sich die Protagonisten des Romans - wobei der Autor selbst eindeutig die Ex-Prostituierte Ariane als DIE Hauptfigur sieht - beide in einer mehr als "Ausnahme"-Situation.
Ein bisher für seine Arbeit hochgelobte Journalist (dessen Geschichte natürlich inspiriert wurde vom Schweizer Tom Kummer, der mit seinen erfundenen Interviews vor gut 13 Jahren für einen riesigen Skandal sorgte, weswegen nicht verwundert, dass die vorliegende Geschichte, unter dem Titel "Verzeihen" 2001 erstmalig erschienen, davon inspiriert wurde - A.d.R.) verliert praktisch über Nacht seine Existenzberechtigung, obwohl er nach wie vor (wie übrigens auch Autor Ani) davon überzeugt ist, dass das, was er Michelle Pfeiffer in einem fiktiven Gespräch (leider nicht als solches gekennzeichnet) in den Mund gelegt hat, allemal interessanter ist, als alles, was sie je selbst von sich (preis-) geben könnte.
Dass sich die ganze aufgestaute Wut und Verzweiflung, der Wunsch, sich und andere zu verletzen, irgendwann entlädt, ist fast zwangsläufig und sogar nachvollziehbar.
Die Weise, wie es geschieht und wen er dabei in Mitleidenschaft zieht, nicht.
Selbst für einen Leser, der sich auf den gut 142 Seiten, die einem der schlimmsten Verbrechen, die man einem Mitmenschen antun kann (bekanntlich werden nicht nur Frauen vergewaltigt!) vorangehen, so weit auf dieses arme Schwein eingelassen hat, dass er sich bis dahin eines Anflugs von Mitleid nicht erwehren kann.
Das geht nun natürlich geballt zu Ariane über, der Mittdreißigerin, die den Beruf der Nutte zugunsten einer Tätigkeit als Kneipenwirtin aufgegeben hat. Wobei diese unglückliche Frau das Mitgefühl des Lesers schon ganz von Anfang an besitzt, seitdem sie ihn nämlich durch ihre Tagebucheintragungen hat teilnehmen lassen an dem Schock, den sie durch das Wissen um ihre HIV-Infektion erlitten hat.
Wie sie sich durch den Alltag kämpft, darum bemüht, mit der Krankheit umgehen zu können, das tut beim Lesen fast körperlich weh. Eine Vergewaltigung und Entführung unter erniedrigenden Bedingungen hätte es da - so meint man - nicht "auch noch" gebraucht.
Aber er hat sich schon etwas gedacht, bei alledem und alledem, der Herr Ani. Denn umso größer ist die Erleichterung, dass die Frau offensichtlich ihren Weg weg von der Verzweiflung und hin zum Prinzip Hoffnung gerade aufgrund ihrer schrecklichen Erlebnisse findet. Sozusagen Schmerz und Angst als Katalysator.
Kommissar Süden und die Kollegen des 11. Dezernats dürfen natürlich nicht unerwähnt bleiben, doch bilden sie eher einen vertrauten Rahmen als dass sie die Ereignisse durch ihr Handeln wesentlich beeinflussen (abgesehen natürlich von der Tatsache, dass sie am Ende die arme Ariane retten).
Ach ja - bitte nicht wundern, dass der Polizist Martin Heuer, der sich in "Die Erfindung des Abschieds" (Roman von 1998) erschossen hat, plötzlich wieder quicklebendig, wenn auch ziemlich fertig und versoffen auftaucht.
Es handelt sich dabei (laut Autor Ani) um eine Form der "bayerischen Auferstehung", die er in erster Linie deswegen praktiziert hat, um das Team des Dezernat 11 wieder komplett zu präsentieren.
Was gäbe es also abschließend zu sagen? Dass es sich dabei um "harten Tobak" handelt, nicht geeignet für sensible Gemüter, die Probleme haben mit der expliziten Darstellung von Seelenqualen ebenso wie körperlicher Pein? Oder doch besser, dass es keinen Weg vorbei gibt an diesem kraftvollen Werk?

Miss Sophie