Das Buch direkt bei Amazon bestellen Zoran Drvenkar
Still

Thriller
Eder & Bach Broschur
ISBN 978-3-945386-00-2

Ein Mann, der seine Tochter sucht und dabei seine Identität verliert.
Ein Mädchen, das seit sechs Jahren reglos aus dem Fenster schaut und darauf wartet, dass ihr jemand den Schlüssel zu ihrer Erinnerung bringt.
Vier Männer und eine Mission, die aus Hunger und Disziplin besteht und keine Opfer scheut.
Ein Winter in Deutschland, ein See im Wald und Schatten, die sich unter dem Eis bewegen.

Rezension:
SIE.
DU.
ICH.

Drei Erzählperspektiven – eine große, ungeheuerliche, wuchtige Geschichte.

Alles beginnt mit einem Bad im Eisloch und danach barfuß durch den Schnee – genau das Richtige, um das Gemeinschaftsgefühl zu stärken, sich und anderen die eigene Widerstandskraft zu beweisen.
Wer das tut, kennt keine Angst sondern dominiert alle, die schwächer sind.

Lucia ist kein Schwächling – sondern eine ganz normale Dreizehnjährige. Am Hochzeitstag der Eltern bei Cola, Popcorn und Fernsehen mit dem kleinen Bruder allein zu Haus. Der Sechsjährige ist übermütig, sie schläfrig.
Drei Stunden sturmfreie Bude für die Geschwister.
Drei Stunden nur.
Daraus wird: Ein Leben. Kein Leben mehr.
Was danach passiert, liegt zunächst so sehr im Dunkeln wie der Stromausfall im Elternhaus der beiden.

Glasklar hingegen ist die Rolle des Ich-Erzählers, Mika, der in Wirklichkeit anders heißt.
Von Anfang an liegt seine verwundete Seele schonungslos offen: Dieser Mann ist innerlich kaputt und kalt, befindet sich auf einer frenetischen Suche – allein gegen die ganze Welt. Seine Frau hat ihn verlassen, doch das bringt den Lehrer nicht ab von seiner Jagd.
Umfangreich waren die Vorbereitungen, Geld und unendlich viel Energie hat er investiert, sich eine komplett neue Persönlichkeit aufgebaut, nur um diese vier Männer zur Strecke zu bringen:

Hagen, den Endzwanziger, der aussieht wie ein Engel, dessen geheime Leidenschaften aber schwärzer sind als die Nacht.
Achim, den Glatzkopf mit der Hundebiss-Narbe im Nacken.
Edmont, den Grizzly in Lederkluft mit dem silbergrauen Zopf.
Und schließlich Franco, den Anführer, finanzkräftiger Sohn italienischer Gastarbeiter, Radiomoderator und Hotelbesitzer, wie die anderen beiden den fünfzig näher als den vierzig und mit mehr Geheimnissen als Lebensjahren.
Das Quartett ist abgrundtief böse – die gemeinsam verbrachten Abende erschreckend banal, bei Bier und Dartspiel.

Mika hat sie genau studiert, kennt Geschichten, die sie lieber für sich behalten würden, weiß über ihre Kindheit und Jugend ebenso Bescheid wie über ihre Vorlieben und Gewohnheiten.
Sein Plan, sich mit ihnen anzufreunden, geht auf. Ein für alle mal will er ihnen das Handwerk legen, die Kinder dieser Welt vor solchen Monstern beschützen.

Der Leser weiß natürlich, dass das, was hier im Raum steht, pure von Rache getriebene Gewalt sein wird – und ertappt sich, diese archaische Form der Vergeltung nicht nur gut zu heißen, sondern direkt herbeizusehnen.
Dabei ist dieser Vater, der hier handelt, wo andere nur hilflos schweigen, alles andere als ein eiskalter Vollstrecker. Ganz im Gegenteil wird er gebeutelt von Furcht und während seiner schrecklichen Scharade halten sich Selbstekel und Entschlossenheit die Waage.

Doch je mehr von Lucias Geschichte enthüllt wird, desto geringer werden die Hemmschwellen – bei ihm und bei dem verstörten Leser.

Denn was diesem Kind – und anderen, wie man in kleinen Blitzlichtern erfährt, die in einem einzigen Absatz so viel enthalten, dass ein ganzes Leben darin Platz hat –, was diesen unschuldigen Geschöpfen, keines älter als 15, angetan wurde, das ist einfach nur unbeschreiblich grauenvoll.

Kein Wunder also, dass die junge Frau sieben Jahre nach ihrer Entführung, von der sie ohne den kleinen Bruder zurückkehrte, nurmehr eine Hülle ist, die ohne Worte regungslos auf einem Stuhl sitzt. Jeden Tag. Von morgens bis abends.
Der ICH-Erzähler will ihr Heilsbringer sein, der die Dinge wieder gerade rückt. Und fast verzweifelt wünscht sich der Leser, es könne alles so laufen, wie von Mika erdacht.

Aber natürlich tut es das nicht.
Doch damit nicht genug: Die ganze Geschichte ist noch wesentlich vielschichtiger als zunächst gedacht und komplett anders als alles, was der Leser je gelesen, gehört oder in seinen finstersten Alpträumen ersonnen hat.
Und man will nur eines: Dass das alles ausgedacht ist, Produkt einer Phantasie, die schon in der Vergangenheit Tabus gebrochen und Ungeheuerliches geschaffen hat.
Denn so perfide kann und darf keine Wirklichkeit der Welt sein!

Harter Tobak, aber sensationell gut erzählt.
Es fließt Blut und es gibt Kämpfe auf Leben und Tod. Am stärksten jedoch wirkt die Geschichte durch das, was nicht explizit geschildert wird.
Ein sicherer Anwärter für zahlreiche, wohlverdiente Preise!

Miss Sophie