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Lady Bag

Original: Lady Bag
Deutsch von Else Laudan und Boris Szelinski
Ariadne TB
ISBN 978-3-86754-222-7

Sie ist die Frau ohne Gesicht, die irre alte Schrulle mit Hund. Manche beleidigen sie, manche ignorieren sie. Manche geben etwas. Manche nur wegen des Hundes an ihrer Seite.
Eines Abends läuft ihr in der Londoner Innenstadt der Teufel über den Weg. Statt sich zu verstecken, beschließt sie ihn zu beschatten.
Eine Entscheidung, die schwerwiegende Folgen hat …

Auf der Verlagsseite eine großartige Einführung ins Thema und viele interessante Links.

Rezension:
Eine Pennerin, die ihr Herz nicht zeigt, das ist diese Ich-Erzählerin, die ab der ersten Seite die Leserschaft so wuchtvoll für sich einnimmt, dass sich das Buch bis zum Ende nicht aus der Hand legen lässt.

Wie sie da so sitzt, mitten in London, Greyhound Elektra an ihrer Seite, meint man, sie zu kennen, genau diese Berberin erst neulich in irgendeiner Fußgängerzone gesehen zu haben. Die 20 Schichten Kleidung verdreckt, die Sprache ganz leicht verwaschen vom billigen Fusel. Bedauernswertes Geschöpf – aber andererseits … Sie könnte ja auch arbeiten, oder?

Nein, kann sie nicht.
Die Mittvierzigerin ist herausgefallen aus dem System, hat alles verloren, was sie besaß. Erst Job und Vermögen, dann die Freiheit und schließlich den Respekt ihrer Mitmenschen.
All das, weil sie auf einen Mann hereingefallen ist, der die Ex-Bausparkassenangestellte erst mit Liebe köderte, dann ausnahm wie eine Weihnachtsgans und schließlich für sich in den Knast gehen ließ.
Nach der Entlassung führte trotz aller Bemühungen kein Weg zurück in die Normalität und nun hat die Protagonistin kein Heim, keine Krankenversicherung, keine wirkliche Perspektive.

Das alles brodelt in ihr als sie den Verursacher all ihres Übels durch Zufall auf der Straße wiedersieht – sie nennt ihn „den Teufel“. Der Anblick, wie er seinen Charme spielen lässt, treibt sie zur Weißglut und weckt ihren Wunsch, den Kerl für all das bezahlen zu lassen, was er ihr angetan hat. Oder zumindest seine Neue zu warnen.

Ab dann überstürzen sich die Ereignisse:
Direkt vor dem Haus, in dem sie ihre Beschattungsaktion geführt hat, wird „Lady Bag“ (von „Baglady“, der Obdachlosen, die ihre Habe stets komplett in diversen Tüten bei sich trägt) niedergeschlagen. Noch völlig benommen und verwirrt betritt sie das Gebäude durch die offene Türe, weswegen sie kurze Zeit später von Notarzt und Polizei im Inneren gefunden wird. Zusammen mit einer Leiche.
Durch einen aberwitzigen Zufall hält man sie zunächst für die Mieterin, was der Frau mit dem grauen Haar unverhofft eine Menge Geld, frische Klamotten und einen neuen Weggefährten beschert.
Sie nennt den hübschen jungen Mann in Mädchenkleidung „Schmister“ und gemeinsam bemühen sie sich, dem Rätsel um die tote Frau auf den Grund zu gehen – und dabei idealerweise sowohl am Leben als auch auf freiem Fuß zu bleiben.

Die aberwitzige Abfolge von actionreichen Ereignissen führt die beiden unter anderem ins Zentrum einer höchst unfeinen Gentrifizierungsmaschinerie, ins Fernsehen, lässt sie Konflikte mit anderen Obdachlosen, sowie brutale Poliizeiwillkür erleben und beschert ihnen neue Freunde.
Sie werden von den Bullen einkassiert, kommen einem großen Betrug auf die Spur, benutzen ein alles andere als unauffälliges Fluchtauto, dröhnen sich entweder mit Pillen oder mit Alkohol zu, werden misshandelt und gerettet … - und all das in einem irrsinnigen Tempo und beschrieben mit einem lakonischen Wortwitz, nach dem man anderswo lange suchen muss.

„Lady Bag“ und der „Schmister“ sind zwei tragische Gestalten, jede mit ihrem ureigenen, traurigen Schicksal und mit der Sehnsucht nach Liebe und danach, für jemand anderen wichtig zu sein oder zumindest begehrt zu werden.
Die beiden Underdogs stützen sich, ohne sich ihre Zuneigung einzugestehen, ertragen oft Unaussprechliches und stehen doch immer wieder auf. „Wenn es nicht wehtut, ist es keine Liebe.“ sagt die Transe, die sich schon so lange als Mädchen fühlt, was viel aussagt über diese anrührende Figur.
Die Ich-Erzählerin spricht derweil mit ihrem Hund, der (bzw. „die“, denn die schöne Elektra mit den Bambi-Augen ist eine „Sie“) ab und an auch antwortet.

Es gibt viele gemeine Leute in diesem Roman und an manchen Stellen wünscht man sich, selbst ein bißchen mehr Offenheit einem Wohnsitzlosen gegenüber gezeigt oder einfach nur, ohne die Moralkeule auszupacken, ein bißchen Geld gegeben zu haben.
Es gibt aber auch gute Menschen, die „Lady Bag“ vermitteln, dass sie sie sehr wohl respektieren und das schätzen, was sie getan hat und wofür sie einsteht.

Das Ende ist offen, man wünscht sich, das es „Happy“ sein wird.
Ein wichtiges Fazit allerdings bleibt auf jeden Fall: „Man kann gestört UND intelligent sein!“ und Liza Cody hat ein wirklich singuläres Buch geschrieben, in dem ein wichtiges Thema unterhaltsam umgesetzt wird, ohne an Tiefgang einzubüßen.

Miss Sophie