Das Buch direkt bei Amazon bestellen Brigitte Blobel
der rechte Weg

cbj gebunden
ISBN 978-3-570-15551-6
(ab 12 Jahren)

Linda ist wütend. Ihr Exfreund hat sie wegen einer Türkin verlassen, ausgerechnet. Noch dazu sollen in ihrem Dorf zweihundert syrische Flüchtlinge aufgenommen werden – laufen bald nur noch glutäugige Schönheiten durch die Straßen, die den Jungen den Kopf verdrehen?
Auch ihre Eltern, die Fremdenzimmer vermieten, fürchten, dass bei den vielen Asylanten in der Stadt weniger Gäste kommen.
Linda nimmt an einer Demo gegen die Flüchtlinge teil und lernt eine Gruppe Jugendlicher kennen, die genauso denken wie sie – nur noch radikaler. Linda macht mit, lässt ihrer Wut freien Lauf.
Und gerät in einen Strudel, aus dem es kaum ein Entkommen gibt ...

Rezension:
Eine Stadt im Osten. Dennis ist Lindas erster richtiger Freund, der Junge, mit dem sie ihr "allererstes Mal" erlebt hat und nun muss sie ihn in Flirtmodus mit einer früheren Mitschülerin erleben, der Türkin Ceylan. Die leuchtenden Haare hat, eine "granatapfelrote dichte Mähne", im Gegensatz zu Lindas mausbraunen Zotteln, auch wenn die Widersacherin zehn Zentimeter kleiner ist. Die beiden turteln und auf Lindas Wangen frieren die Tränen, die klammern Hände können kaum das Handy für ein Beweisfoto halten. Dabei haben die beiden Mädchen sich noch kurz zuvor in der Reinigung von Ceylans Eltern getroffen und einen kleinen Plausch gehalten. Damals war noch alles gut.
Lindas Eltern plagen derweil Sorgen, ob das für teures Geld zur Pension umgebaute Haus genügend Gäste finden wird, wenn die Idylle erst durch die geplante Aufnahme von 200 syrischen Flüchtlingen gestört ist. Sie haben Angst vor Testosteron gesteuerten jungen Männern, vor Begehrlichkeiten, die der Anblick von gepflegten Einfamilienhäusern mit Garten wecken könnte, vor potenziellen Drogenhändlern und viele Schreckensszenarien mehr, die für Linda ganz fremd sind. Sie hat Mitleid mit Menschen, die alles verloren haben und in einer abgewrackten Bundeswehrkaserne mit maroden sanitären Anlagen leben müssen.
Doch im Grunde hat Linda für die Nöte andere Menschen momentan keinen Kopf. Sie ist am Boden zerstört, da Dennis sie, statt sich zu entschuldigen, komplett ignoriert. Während ihre Welt also zusammenbricht, trifft sie auf einen Zehntklässler, der ihr bisher noch nie aufgefallen war. Ein Schlacks mit Brille, Röhrenjeans, V-Pulli, Daunenjacke und schönen Händen.
Hannes Weiß will Schülersprecher werden, Wahlprogramm inklusive! Eine Botschaft hat er auch, er nennt das ganze "Ideen und Visionen" haben. Was er fordert, klingt zunächst sehr vernünftig: Bessere Ausstattung, mehr und größere Räume, neue Bücher in der Bibliothek. Zu einer Demo lädt er sie ein, weil er was bewegen will - "...aber mit Spaß, damit endlich was los ist am Ort!" Das Volk aufmischen und hinterher in die Kneipe - das klingt nach einem guten Plan für junge Menschen, vor allem, wenn die Alternative ein leerer Abend voller Liebeskummer wäre.
Für Linda, die eigentlich Gerlinde heißt, ist es vor allem eine Ablenkung und das anfängliche Unbehagen, als die anderen diesen ihren Geburtsnamen verwenden wollen, verfliegt schnell beim Rhythmus der Trommler, der ins Blut geht.
Bei der Demo trifft sie einige Bekannte, Freunde aus der Schule und von den Eltern, Nachbarn, Ladenbesitzer ... So verkehrt kann die Veranstaltung also gar nicht sein. Im Anschluss geht es in ein Lokal - viele fremde Gesichter, nur wenige Mitschüler, aber keine kurzen Haare, Springerstiefel, Menschen die sich mit erhobener Hand begrüßen. Keine Klischee-Nazis, sicher nicht. Gut, es gibt den Jungen, der gern im Wald mit der Waffe seines Vaters kleine Tiere abknallt, aber Verrückte hat man ja überall.
Die Musik ist laut und gut, die Typen schon leicht schräg. Nicht so sehr ob ihrer Tattoos, sondern eher durch ihre Ausdrucksweise. Kein „Hi“, sondern deutsche Begrüßung, keine „Jeans“, sondern Nietenhosen, was Linda extrem lächerlich findet. Kein „ok“ aus Angst um den Verlust des deutschen Kulturguts und aus „Kevin“ wurde Sigurd. Alles schwierig am Anfang, aber Hannes ist so bemüht und freundlich ... Und auch "Nazisse" Gudrun, die Kellnerin, ist sehr sympathisch. Alle Irritation ist verflogen, als die Jungs lautstark ihr Mitgefühl bezogen auf Dennis Verrat zum Ausdruck bringen. Diese Solidarität braucht Linda jetzt, auch wenn ihr bewusst ist, dass es um Ceylans "türkisch sein" geht.
Die Schülersprecherwahl gewinnt Hannes nicht, der Posten geht an ein Sport-As, von Beruf "Sohn", bei dem man munkelt, es habe Schmu gegeben. Zeitgleich wird die Reinigung, die Ceylans „kopftuchtragender Verwandtschaft“ gehört, mit Molotowcocktails verwüstet. Was da warum passiert ist, registriert Linda nicht – sie flirtet mit Hannes.
Gleichzeitig wächst bei einem Ausflug nach Dresden, als extrem sonderbare Typen zur Gruppe stoßen, ihr Unbehagen. Deren Gedankengut ist mehr als eindeutig, ihr Verhalten ebenso. Hannes Avancen hingegen bleiben vorsichtig und zart. Umso größer der Schock als er bei einem schändlichen Vorfall, den Linda entsetzt, angewidert und verständnislos beobachtet, sein wahres Gesicht zeigt. Jetzt würde sie sich, verstört von so viel Brutalität, gern distanzieren, doch man lässt sie nicht und sie kann sich niemandem anvertrauen. Und trotz allen Schreckens trifft Linda sich wieder mit Hannes, lässt sich von seinen Worten einlullen, will ihm glauben, als er sagt, das Verhalten der anderen sei ihrer Bildungsschicht geschuldet, den mangelnden Chancen, die sie im Leben hatten.
Parallel dazu betritt Syrer Jacub die Stadt. Mit blutenden Füßen und Lippen hat der Sechzehnjährige mit seinen Eltern die Grenze zum Libanon erreicht – die tote Schwester auf den Rücken gebunden. Deutschland erscheint ihnen wie das Paradies: Keine zerstörten Gebäude, niemand der brüllt oder um sein Leben läuft. Stattdessen bunte Wände, saubere Wäsche und Fleisch, was die Familie seit einem Jahr nicht mehr gegessen hat. Die Menschen lachen und niemand muss Angst vor der Polizei haben … Die Illusion, nun sei alles gut, zerbricht, als die ersten Steine auf das Heim fliegen.
Linda und Jacub, zwei Jugendliche voller Angst und Hoffnungslosigkeit – erst als eine junge Dolmetscherin die Initiative ergreift, erwachen beide auf unterschiedliche Weise aus ihrer Schockstarre.

Autorin Brigitte Blobel braucht keinen Zeigefinger, um ihre Botschaft an die LeserInnen zu schicken, jedem wird sofort klar, wie subtil der rechte Krake hier seine Fänge nach potentiellen Anhängern ausstreckt, sie einlullt und umschlingt.
Linda ist kein bisschen gewaltbereit – nur sehr verletzt und empfänglich für die richtigen Worte zur richtigen Zeit. Auch die Situation der Flüchtlinge wird an Jacubs Beispiel in wenigen prägnanten Sätzen so viel deutlicher als durch viele lange Erklärstücke.
Ein Roman, dem man nicht nur unter jungen Menschen eine große Leserschaft wünscht und den man eigentlich ab der Mittelstufe als Pflichtlektüre an Schulen etablieren sollte.
Vor allem aber ein Buch, dessen Aktualität auf erschreckende Weise in gerade einmal anderthalb Jahren nach Erscheinen mit dem Erstarken der Rechtspopulisten überall in Europa eher zu- statt abgenommen hat.

Miss Sophie