Das Buch direkt bei Amazon bestellen Ursula Poznanski
Erebos 2

Loewe Klappenbroschur
ISBN 978-3-7432-0049-4
(ab 14 Jahre)

Als Nick auf seinem Smartphone ein vertrautes Icon in Gestalt eines roten E entdeckt, glaubt er zuerst an einen Zufall. Aber dann wird ihm klar: Erebos hat ihn wiedergefunden …
Der sechzehnjährige Derek hingegen ist nur kurz misstrauisch, als das rote E auf seinem Handy aufleuchtet. Zu spät begreift er, dass er selbst zu einer Spielfigur geworden ist. Und es um viel mehr geht, als er sich je hätte vorstellen können …

Rezension:
Ein Prolog, in dem jemand seiner Todesangst Ausdruck verleiht.
Für den Leser die Aussicht auf ein Spannungsbad sondergleichen.
Offenbar wird der Ich-Erzähler verfolgt und nicht nur er – allerdings scheint er einen Rettungsplan zu haben und eine geheime Waffe …
So. Muss. Das. Sein.

2010:
Das erste iPad macht Furore, der Vulkan Eyjafjöll sorgt für ein beispielloses Chaos im weltweiten Reiseverkehr und ganz Deutschland jubelt über Lena Meyer-Landruts Sieg beim ESC.
UND: Zahllose Jugendliche und Erwachsene verfallen einem Computerspiel namens EREBOS, das in Wirklichkeit ein Buch ist, in dem es um ein völlig neuartiges, interaktives Adventure-Game geht.
Doch auch wenn das Spiel selbst erfunden ist – der Sog, den es auf alle die ausübt, die darüber lesen, ist echt.

2019:
EREBOS ist zurück – und hat (fast) eine Dekade später nichts von seiner Faszination eingebüßt.
Zumindest nicht für den Leser (der sich zur Einstimmung am besten noch einmal schnell den ersten Band zu Gemüte führt).
Bei Nick sieht die Sache schon anders aus …

Der junge Mann, in Erebos 1 noch ein 16-jähriger Schüler, hat sich für eine akademische Laufbahn entschieden. Mit seinem Nebenjob als Hochzeitsfotograf finanziert sich der jetzt 26-jährige das Studium. In seiner Abschlussarbeit geht es um Fotojournalismus und Umweltprobleme.
Sein Leben ist wenig spektakulär, bis ihn (und (und gleichzeitig sämtliche Leser) eines Tages der Anblick eines Symbols auf seinem Computer zurück in die Vergangenheit katapultiert. Denn als wie durch Zauberhand das rote „E“ auf seiner Benutzeroberfläche erscheint, kommt sofort alles wieder: All die Tage, in denen er (man) es kaum erwarten konnte, von der Schule (Arbeit) nach Hause zu kommen, um wieder in die Welt von Erebos einzutauchen, all die Nächte, durchgesüchtelt, ohne zu essen, zu schlafen und wenn möglich, nicht einmal aufs Klo zu gehen, nur um in jener geheimnisvollen Gegend kämpfen, Aufgaben lösen oder sich mit anderen Spielern am Feuer austauschen zu können.

Das alles ist auf einen Schlag wieder da, nur dass Nick diesmal keine wirkliche Wahl hat. Denn nicht aus Neugierde will oder besser muss er spielen, sondern weil seine Existenz in Gefahr ist. Erst die berufliche, später geht es auch um seine ganz persönlichen Beziehungen bis hin zu Gefahr für Leib und Leben jener, die ihm lieb und teuer sind. Wie gut, dass „Sarius“, der Spielcharakter, der ihn auch diesmal verkörpert, das Kämpfen nicht verlernt hat. Doch wir wollen der Handlung nicht vorgreifen …

Derek ist so alt wie Nick damals.
Auch sonst gibt es einige Parallelen: Einige seiner Mitschüler, Morton und Riley, spielen ihm regelmäßig fiese Streiche, er schwärmt heimlich für ein Mädchen aus einer Schule, Maia, und das Verhältnis zum Vater ist nicht ungetrübt, auch er ist nicht der Traumsohn, den sich alle Eltern wünschen. Was auch daran liegt, dass Derek ein massives Problem mit der eigenen Impulskontrolle hat, was dazu führt, dass er einerseits unsicher, andererseits oft einfach auch sehr wütend ist. Seine Gewaltphantasien kann man angesichts dessen, was ihm immer wieder angetan wird, dabei sogar fast verstehen.
Auch Derek hat die App mit dem roten „E“ (vorbei die Zeiten, als man eine CD einlegen musste) nicht bewusst irgendwo heruntergeladen – glaubt aber, seine jüngere Schwester habe dies getan und ihm heimlich aufgespielt. Er will nur kurz sehen, worum es sich handelt – ist aber nach den ersten interaktiven Sequenzen so fasziniert, dass er nicht mehr aufhören will.

Nick hingegen _kann_ nicht mehr aufhören – das Programm hat ihn in der Hand. Diese Verzweiflung beim Gefühl, einer Höllenmaschine ausgeliefert zu sein, kennt jeder, der schon einmal (temporär) keinen Zugriff auf wichtige Daten hatte. Nicht umsonst haben in den letzten Jahren kriminelle Hacker das Geschäft mit Ransomware, also Erpressungssoftware, immer mehr perfektioniert.
Und selbst wenn so ein Trojaner nicht den kompletten Rechner eines Benutzers übernimmt – es reicht schon, wenn man minutenlang durch das Anklicken von Bussen, Ampeln oder Hydranten beweisen muss, kein Roboter zu sein, um weiter eine Suchmaschine benutzen zu können.
Gerade solche Abfragen sind im Übrigen das kleine Einmaleins der „Künstlichen Intelligenz“. Das, was Menschen als „richtig“ definieren, macht die K.I. bei jedem Mal ein kleines bisschen klüger.

Um schlaue K.I. geht es auch in Erebos 2, wo sich natürlich niemand mehr wundert, wenn Mobiltelefone mithören oder den Standort ihrer Besitzer enthüllen, selbst wenn diese das weder wissen noch gutheißen.
Dass dies von vielen im Roman stillschweigend akzeptiert wird, passt zu unserer Lebenswirklichkeit, in der jeden Tag neue Enthüllungen ans Licht kommen, wie Alexa, Siri oder Skype unsere Aktivitäten und Konversationen protokollieren, um sie wem auch immer zugänglich zu machen (den Amerikanern? Den Chinesen? Mark Zuckerberg?) und wo dennoch minütlich Millionen von elektronischen Nachrichten in Bild und Ton verschickt werden.

Allzu viele sind das allerdings weder bei Nick noch bei Derek. Was natürlich auch damit zusammenhängt, dass wie beim ersten Mal auch jetzt eine der wichtigsten Regeln das Schweigegebot ist. Außerhalb des Spiels soll Erebos 2 nicht erwähnt werden – selbst wenn es, wie schon sein Vorläufer, konkrete Auswirkungen auf das „echte“ Leben der Spieler hat. Menschen müssen Aufträge ausführen, es gibt Belohnungen und Bestrafungen.
Und immer wieder führen alle Wege – teilweise sogar unter hohem Zeitdruck – zurück zum Spielgeschehen, das auch diesmal in einem dringenden-drängenden Präsens gehalten ist.
Doch wo Nick alias Sarius immer wieder den Wunsch hat, auszusteigen, weil er weiß, dass mit dem Spiel nicht zu spaßen ist, bedeutet die Erebos-Welt für Derek Heimat, die Verheißung von Geborgenheit. Er fühlt sich, anders als in seinem Alltag ernst genommen, wertgeschätzt, tatsächlich auserwählt. Und er begegnet Idmon, der immer wieder seine schützende Hand über ihn hält.
Verständlich, dass der Junge nicht glauben möchte, dass das Spiel – oder der, der dahintersteckt – „böse“ ist, selbst wenn ihm nach und nach einiges sehr sonderbar vorkommt an diesem Online-Adventure mit Offline-Schnitzeljagd.

Der Leser weiß natürlich, dass die beiden Ebenen untrennbar miteinander verknüpft sind. Jemand benutzt alle Erebos-Spielenden wie Schachfiguren – welche Partie da aber gewonnen werden soll, liegt ziemlich lange im Dunkeln.
Das allerdings tut dem Lesevergnügen keinen Abbruch, sind doch auch diesmal die Charaktere durchaus vielschichtig, ihr Handeln oft genug aus der schieren Not geboren – manchmal allerdings auch kalkuliert.
Die Spannung bleibt gleichbleibend hoch, die Auflösung ist ausgesprochen unerwartet.

Auch ohne das Überraschungsmoment des ersten Bandes, mit der verblüffenden Verzahnung zwischen virtuellem und wirklichem Leben, ist Erebos 2 Unterhaltung auf hohem Niveau.
Viel hatte die Autorin damals an technischen Möglichkeiten gut recherchiert und als durchführbar eingeschätzt, von dem, was mittlerweile Realität geworden ist.
Doch immer noch und immer wieder aktuell ist auch die Frage nach der Legitimität der Mittel, wenn der Zweck ein, zumindest subjektiv empfundener, hehrer ist. Ist für den, der sich im Recht fühlt, alles erlaubt?
Es ist das Markenzeichen von Poznanski, ihre Protagonisten durchaus auch in moralische Bedrängnis zu bringen. Ist es verwerflich, sich an jemandem zu rächen, der einen immer wieder drangsaliert? Kann man die Bedürfnisse der anderen leichtherzig ignorieren, wenn sie den eigenen widersprechen? Darf man andere manipulieren?

Wer diese Art Themen so gekonnt mit einem spannenden, actionreichen Plot verknüpft, hat sich – wie bei Erebos 1 geschehen – die Vielzahl von damit verbundenen Preisen redlich verdient. Kein Wunder also, dass ein solches Buch trotz seines beachtlichen Umfangs von Schülerinnen und Schülern immer wieder zur Klassenlektüre erkoren wird und nicht nur deswegen seit fast zehn Jahren in keinem Bücherregal fehlen darf.

Erebos hat den Startschuss zu Ursula Poznanskis fulminanter Karriere als eine der herausragendsten Verfasserinnen von Spannungsliteratur im deutschen Sprachraum gegeben. Pro Jahr gelingt es ihr die Erwartungen von zwei Zielgruppen mit konstant guter Qualität zu erfüllen oder sogar zu übertreffen. Am Ende des Winters mit einem Kriminalroman für Erwachsene und im Sommer mit einem Thriller für Jugendliche.

Mit Erebos 2 ist das Buch erschienen, was von allen gleichermaßen sehnsüchtig erwartet wurde.
Das Warten hat sich definitiv gelohnt.

Miss Sophie